Zeitgeschichte in Oberwinter Der Tag, an dem die „Goethe“ sank

Oberwinter · Vor 75 Jahren wurde der Schaufelraddampfer Goethe im Oberwinterer Hafen bombardiert. 12 russische Kriegsgefangene und der Bootsmaschinist starben kurz vor Kriegsende.

 Der Schaufelraddampfer „Goethe“ als Ausflugsschiff in der Zeit zwischen den Weltkriegen.

Der Schaufelraddampfer „Goethe“ als Ausflugsschiff in der Zeit zwischen den Weltkriegen.

Foto: Anton Simons

Am 3. März 1945, auf den Tag vor 75 Jahren, erlebte Oberwinter den folgenreichsten Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs. Die Attacke galt dem vor Oberwinter ankernden Schaufelraddampfer „Goethe“, auf dem Hunderte von russischen Kriegsgefangenen untergebracht waren. Ab Ende 1944 war in dem Hafenort nämlich eine Wehrmachtstruppe stationiert, die Verteidigungseinrichtungen baute. Für die schweren körperlichen Arbeiten sind dabei die russischen Gefangenen eingesetzt worden.

Von SA-Männern bewacht, rückten sie täglich aus, um im Oberwinterer und im Unkelbacher Wald Schützengräben auszuheben und an Straßen und Wegen Panzersperren zu bauen. Am späten Nachmittag kehrten sie zu der 1913 gebauten und 1925 zum Doppeldecksalonschiff umgebauten „Goethe“ zurück, auf dem sie übernachteten. Die „Goethe“ hatte zunächst an der Einfahrt in den Oberwinterer Hafen gelegen.

Im Spätherbst 1944 ankerte sie dann einen Kilometer stromaufwärts, etwa in Höhe des Rastplatzes „Siebengebirgsblick“ und des Rheinpegels Oberwinter. Denn man hoffte, dass das mit blaugrauer Tarnfarbe gestrichene Schiff dort hinter der Steilmauer an der heutigen B 9 von den meist aus westlicher Richtung anfliegenden alliierten Flugzeugen nicht entdeckt würde.

 Schlagseite: Die „Goethe“ lag nach dem Bombenangriff über Jahre hinweg am Rheinufer von Oberwinter.

Schlagseite: Die „Goethe“ lag nach dem Bombenangriff über Jahre hinweg am Rheinufer von Oberwinter.

Foto: Kreis

Der ganz in der Nähe wohnende damals neunjährige Horst Eckertz erinnerte sich in einem Beitrag für das Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2005, dass er täglich beobachten konnte, wie die Gefangenen „in zerlumpter Kleidung … zu ihren Arbeitsplätzen ausmarschierten und spätnachmittags über den Rastplatz wieder zu ihrer Schiffsunterkunft zogen.“ Seit einigen Tagen waren in Oberwinter die Donner der Artilleriegeschütze der zurückweichenden deutschen Einheiten und der anrückenden amerikanischen Truppen zu hören. Nachts dröhnten die Motoren britischer Bomberverbände, die, aus Hunderten von Flugzeugen bestehend, in großer Höhe Ziele im Osten anflogen.

Tagsüber verbreiteten amerikanische Flieger Angst und Schrecken unter der Bevölkerung, wenn sie unvermittelt auftauchten, Einzelbomben abwarfen oder mit ihren Bordwaffen auf Menschen schossen.

Am 29. Juli 1942, fast drei Jahre zuvor, war die „Goethe“ zum ersten Mal von feindlichen Flugzeugen attackiert worden. Zu dieser Zeit diente sie noch als Ausflugsdampfer. Vollbesetzt mit Passagieren, fuhr sie oberhalb von Koblenz auf dem Rhein, als die Kampfflieger angriffen. Das Schiff wurde dabei beschädigt und 21 der insgesamt etwa 600 Passagiere wurden verletzt. Tote gab es damals nicht.

Am Morgen des 3. März 1945 konnten die Einwohner von Oberwinter hören und sehen, wie das gegenüberliegende Rheinbreitbach bombardiert wurde. Deshalb suchten sie in Luftschutzkellern Schutz. Am frühen Nachmittag dann warnte die Sirene in Oberwinter vor akuter Luftgefahr.

 Diese Luftaufnahme wurde Ende März 1945 gemacht. Die „Goethe“ ist das Schiff ziemlich genau in der Bildmittel.

Diese Luftaufnahme wurde Ende März 1945 gemacht. Die „Goethe“ ist das Schiff ziemlich genau in der Bildmittel.

Foto: Archiv Wolfgang Gückelhorn

Dieses Warnsignal, das erst in den letzten Kriegswochen eingeführt worden war, bestand aus zweimaligem kurzen Aufheulen der Sirene, und es bedeutete, dass ein Luftangriff unmittelbar bevorstand oder bereits im Gange war. Augenblicke nach dem Warnsignal rasten zwei Flugzeuge im Sturzflug auf Oberwinter zu. In den Kellern waren heftige Detonationen zu hören. Bei diesem nur wenige Minuten dauernden Angriff wurde die „Goethe“ getroffen.

Ein Bombenvolltreffer zerstörte das gesamte Achterschiff. Deshalb lag das Schiff schief im Wasser. Verletzte schrien und Oberwinterer eilten herbei, um ihnen zu helfen. Die Habseligkeiten der Gefangenen – Decken und Kleidungsstücke – lagen in der Uferböschung verstreut umher oder trieben auf dem Rhein davon. Die meisten der russischen Gefangenen waren zum Zeitpunkt des Angriffes  auswärts bei der Arbeit. Die zwölf Gefangenen aber, die sich an Bord befanden, wurden ebenso getötet wie der an Bord befindliche Maschinist der „Goethe“. Ihre Leichen wurden am nächsten Morgen von den Oberwinterer Gemeindearbeitern aus den Schiffstrümmern geborgen und auf Bahren zu einem Handwagen getragen, der auf dem Rastplatz stand. Von dort wurden die Toten zum Oberwinterer Friedhof transportiert und bestattet.

Da hatte sich die SA-Mannschaft längst mit den übrigen Zwangsarbeitern auf dem ebenfalls in Oberwinter liegenden, aber unbeschädigten Schiff „Westmark“ ans gegenüberliegende Rheinufer nach Unkel abgesetzt, wo sie das Schiff anschließend versenkten, damit es nicht den anrückenden Amerikanern in die Hände fiel. Nur wenige Tage nach dem Angriff auf die „Goethe“ kamen die Amerikaner nach Oberwinter.

Nach Kriegsende dienten die Reste des ehemaligen Ausflugsdampfers den Kindern als Spielplatz. Taucher bargen später aus dem Schiffsrumpf Porzellan, Bestecke und Steinkohle. Eisen- und Holzteile des Schiffes fanden in den Mangeljahren vielfache Verwendung. Der in Oberwinter wohnende Fährmann Peter Wüst, dessen Boot im Hafen versenkt worden war, nutzte das Wrack der „Goethe“ als Ersatzteillager, das ihm dazu diente, sein Fährboot „Isolde“ zu reparieren. Die „Goethe“ wurde 1949 gehoben, repariert und wieder als Ausflugsschiff in Dienst gestellt. Heute ist sie, vor Jahren komplett saniert und restauriert, der letzte Schaufelraddampfer, der noch auf dem Rhein verkehrt.

Die russischen Kriegsgefangenen, die bei dem Angriff ums Leben gekommen waren, sind am 21. April 1950 exhumiert und nach Koblenz-Karthause umgebettet worden. Nachdem der Rastplatz „Siebengebirgsblick“ vor knapp 20 Jahren saniert worden war, stellte der Verkehrs- und Verschönerungsverein Oberwinter-Rolandseck im Jahr 2003, dem 90. Jahrestag der Jungfernfahrt der „Goethe“, auf dem Rastplatz eine Gedenktafel auf, die an die Versenkung der „Goethe“ und an die Opfer des 3. März 1945 erinnert.

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