Nach der Wahl in Thüringen Die CDU wurde von einem politischen Tsunami erschüttert

Berlin · Die Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und der Thüringer Landeschef Mike Mohring sind in der CDU die Verlierer dieser Woche. Die eine sieht ihre Chancen auf eine Kanzlerkandidatur weiter sinken, der andere steht vor einem Rücktritt als Fraktionschef

 Wer sagt was? Wer glaubt wem? Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring.

Wer sagt was? Wer glaubt wem? Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring.

Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Die Nacht war kurz. Mike Mohring hat eine Stunde geschlafen. Bis ein Uhr morgens war ein Gast aus Berlin in Erfurt: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Bis 2.30 Uhr habe die CDU-Landtagsfraktion alleine weiter beraten. Mohring selbst hat dann nach eigenen Worten noch bis vier Uhr morgens „gearbeitet“. Danach Kurzschlaf. Duschen. Und dann auf nach Berlin zur Sondersitzung des CDU-Präsidiums. Jetzt steht Mohring im blauen Anzug mit Krawatte in der kalten Luft vor dem Konrad-Adenauer-Haus und sagt: „Ich habe vor einem Tsunami gewarnt, wenn jemand gewählt wird mit den Stimmen der AfD.“

Jetzt ist dieser politische Tsunami über Erfurt, über Berlin, über Thüringen, gewissermaßen über die gesamte deutsche Parteienlandschaft hereingebrochen. Kramp-Karrenbauer und Mohring sind seit Mittwoch, 13.26 Uhr, als CDU und FDP erstmals gemeinsam mit Stimmen der rechten AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt haben, an vorderster Stelle in Bund und Land mit der Begutachtung des Schadens befasst. Er ist wie bei einem Tsunami üblich: großflächig. Mohring wie auch Kramp-Karrenbauer laufen im übertragenen Sinne Gefahr, ihre Häuser zu verlieren.

In Erfurt sind Teile der Fraktion verstimmt wegen Mohrings Führungsstil: angeblich zu viele „unabgestimmte Alleingänge“. In Berlin sieht sich die CDU-Chefin mit der Frage konfrontiert, ob sie noch die Kraft habe, die ganze Partei zusammenzuhalten. CDU-Vize Armin Laschet nimmt sie zumindest an dieser Stelle vor dem Vorwurf in Schutz, sie habe einen widerspenstigen Landesverband nicht bändigen können: „Sie bestimmt nicht, wer wo Vorsitzender ist. Das kann kein Bundesvorsitzender.“ Schon ist aber die Rede davon, dass auch die Macht von Bundeskanzlerin Angela Merkel erodieren könnte, weil Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin das Vakuum, das Merkel hinterlassen habe, nicht fülle. Die Chancen der Saarländerin auf eine Kanzlerkandidatur dürften weiter gesunken sein.

Wenig Schlaf, großes Chaos in der CDU

Kramp-Karrenbauer hat ebenfalls nur wenige Stunden geschlafen. Die CDU-Chefin ist seit vier Tagen im Dauerkrisen-Modus. Das Wahlchaos in Erfurt hat auch sie erfasst, weil ihr vorgehalten wird, sie habe es nicht geschafft, die Landes-CDU um deren Vorsitzenden Mohring auf Linie zu bringen. Keine Koalition oder Kooperation mit der AfD, so ist es in der Bundes-CDU beschlossen. Soeben hat das CDU-Präsidium seine Sondersitzung in Berlin beendet. CDU-Vize Laschet verlässt ohne jeden Kommentar die Parteizentrale. Am Morgen noch hatte der NRW-Ministerpräsident eine direkte Antwort auf die Frage vermieden, ob die eigene Parteivorsitzende noch genügend Autorität habe, was auch schon ein Statement ist. „Sie ist die Vorsitzende. Sie hat gestern in Erfurt anstrengende Gespräche geführt. Mein Ziel ist jetzt, dass in Thüringen Klarheit herrscht. Alles andere steht heute nicht auf der Tagesordnung.“

Laschet weiß, dass Kramp-Karrenbauer in der Nacht zuvor bei der CDU-Landtagsfraktion in Erfurt ihre Forderung nach Neuwahlen nicht durchsetzen konnte. Kramp-Karrenbauer betont am Tag danach in Berlin: „Ich trage die Verantwortung für die CDU. Darum habe ich mich in den letzten Wochen und Monaten bis in die letzte Nacht sehr intensiv gekümmert. Das Präsidium hat diesen Kurs ja auch eindrücklich mitgetragen.“

Einstimmig. Immerhin. Kramp-Karrenbauer verweist darauf, dass sie sich im Präsidium nochmals frische Rückendeckung für den geltenden Parteibeschluss geholt habe. Einstimmig bedeutet auch: Landeschef Mohring, der Mitglied im Präsidium ist, hat zugestimmt. Zu dem jüngsten Beschluss zählt: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter noch in indirekter Form.“ Außerdem: Keine Stimme der CDU für einen Kandidaten der AfD oder der Linkspartei – und auch keine Stimme der CDU „für einen Kandidat, der auf Stimmen der AfD angewiesen ist“. Zudem plädiert das CDU-Präsidium in Berlin für Neuwahlen in Thüringen, wogegen sich die Landtagsfraktion sperrt.

Mohring steht unter Druck. In der Landtagsfraktion nachts zuvor habe er bereits seinen Rücktritt von der Fraktionsspitze in Aussicht gestellt, bestätigt Kramp-Karrenbauer auf Nachfrage. Angeblich hat Mohring in der Fraktion nicht mehr ausreichend Rückhalt, binde Abgeordnete zu wenig in seine Entscheidungen ein, wie es wiederum in Landtagsfraktion heißt.

Mohring erlebt, wie sein Stern langsam sinkt

Es läuft sehr viel durcheinander bei der CDU. Weiß die Bundes-CDU noch was ein Landesverband entscheidet? Mohring, der sich vor der Landtagswahl Hoffnungen auf einen weiteren politischen Aufstieg machen durfte, erlebt in diesen Tagen, wie sein Stern sinkt. Die Rolle des alleinigen Sündenbocks für das Wahlchaos will er aber nicht übernehmen. Er habe „von mir aus“ am vergangenen Wochenende und somit vor der Ministerpräsidenten-Wahl im Landtag das Gespräch mit Parteichefin Kramp-Karrenbauer gesucht, erzählt Mohring. Will heißen: Die CDU-Chefin sei sehr wohl informiert gewesen. Kramp-Karrenbauer wiederum betont, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mit Mohring das Verfahren abgesprochen.

Also alle mit drin im Kandidaten-Boot. Dabei sei klar gewesen: Die CDU werde im Landtag keinen eigenen Kandidaten stellen, um sich erst gar nicht von der AfD abhängig zu machen. Außerdem sei verabredet worden, dass die CDU sich der Stimme enthalten beziehungsweise den Kandidaten von Rot-Rot-Grün, Bodo Ramelow, ablehnen werde. Die Verabredung habe ja gehalten – bis zum dritten Wahlgang. Und seither herrscht bei der CDU Alarmstimmung. Wer sagt was, wer glaubt wem? Es geht gewissermaßen um die Vertrauensfrage.

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