Staustadt Bonn „Ich sehe kaum alternative Routen zur Viktoriabrücke“

Interview | Bonn · Michael Schreckenberg, Professor für Physik und Transport, spricht mit unserer Autorin über die Versäumnisse in der Verkehrspolitik und Staugefahren in Bonn. Er plädiert für mehr Ampelvorrangschaltungen angesichts der anstehenden Baustellenjahrzehnte.

 Michael Schreckenberg.

Michael Schreckenberg.

Foto: Fank Preuss

In Bonn stehen Autofahrer laut  einer Studie von „TomTom-Traffic“ rund 106 Stunden pro Jahr im Stau. Damit ist die Bundesstadt Spitzenreiter in NRW, bundesweit steht sie an siebter Stelle.  Aktuell drohen Staus ab Freitag, wenn die Viktoriabrücke wegen der laufenden Bauarbeiten für elf Tage gesperrt sein wird. Mit dem Uniprofesser und Verkehrsexperten Michael Schreckenberg sprach Lisa Inhoffen.

Wie entstehen Staus?

Michael Schreckenberg: 60 bis 70 Prozent aller Staus entstehen, weil die Straßen überlastet sind, also zu viele Autos auf einmal auf derselben Strecke unterwegs sind und die Kapazitätsgrenze erreicht wird. Dann bricht der Verkehr zusammen. Das passiert auf innerstädtischen Straßen natürlich schneller und öfter als auf Autobahnen. Auf Autobahnen sind außerdem Unfälle oft der Grund für Staus, und natürlich auch die jeweilige Witterung. In den Städten spielt es eine große Rolle, wie viele Baustellen es gleichzeitig gibt. Besonders stauanfällig sind zudem Kreuzungen.

Mal abgesehen davon, dass in der Corona-Krise der Verkehr deutlich abgenommen hat: Bonn ist nach wie vor Stauhauptstadt in NRW. Woran liegt das?

Schreckenberg: Bonn hat wie alle Rheinstädte das Problem, dass die Stadt mit Brücken verbunden ist. Dazu kommt, dass Bonn nur wenige durchgehende Hauptverkehrsachsen hat, die bei hohem Verkehrsaufkommen schnell überlastet sind. Hinzu kommen in den letzten Jahren die vielen Baustellen in der Stadt und auf den Autobahnen um Bonn herum. Das und eine nur unzulängliche Verkehrsinfrastruktur in der Stadt Bonn haben die Stauanfälligkeit deutlich erhöht.

Wo liegen die Versäumnisse?

Schreckenberg: Es wurden zu viele Straßenbaumaßnahmen zu lange hinausgeschoben. Da hat sich auf den Bundes-, Landes und Kommunalstraßen viel angestaut. Ein Sanierungsstau, der jetzt abgebaut wird, unter anderem, weil die Straßen so marode sind, dass es gar nicht mehr anders geht. Innerstädtisch hat das natürlich auch was mit den Finanzen der Kommunen zu tun. Als Versäumnis sehe ich auch mangelnde Absprachen zwischen den einzelnen Bauträgern, wie zum Beispiel beim Landesbetrieb Straßen NRW und einer Kommune wie Bonn. Und warum finden keine Abstimmungen untereinander statt, um zum Beispiel die Anbindung innerstädtischer Straßen an die Autobahnen zu verbessern? Das könnte man zum Beispiel mit Ampelvorrangschaltungen regulieren. Das wäre vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass Bonn ja sehr viele Einpendler aus der Region hat. Aber das ist natürlich aufwendig, und man lässt deshalb lieber alles so laufen wie es ist.

Dank Home-Office gab es in den letzten Wochen kaum Staus in Bonn...

Schreckenberg: Ja. Das ist richtig. Zunächst gilt, wenn man den Berufsverkehr von der Straße bringen will, muss man den Menschen alternative Konzepte vorlegen. Wir warten jetzt mal ab, was die Corona-Krise an Home-Office-Nachwirkungen mit sich bringt. Die Frage ist doch, wie viele werden weiterhin von zu Hause arbeiten? Sinnvoll wäre es, die Menschen  blieben zumindest gewisse Tage in der Woche im Home-Office. Das reduziert nicht nur signifikant die Verkehrsbelastung auf den Straßen, sondern der Arbeitgeber spart auch Büroflächen und Reisekosten. Anstatt nach Hamburg zu fahren, können die Mitarbeiter auch über Videokonferenzen kommunizieren. Alle haben doch gesehen, das klappt ganz gut.

Am Samstag wird die Viktoriabrücke für elf Tage gesperrt. Ist das zu erwartende Verkehrschaos in den Griff zu bekommen?

Schreckenberg: Ich sehe, ehrlich gesagt, kaum alternative Routen zur Viktoriabrücke. Klar, die Autofahrer werden versuchen, Ausweichrouten zu finden, das ist aber nicht einfach. Entweder muss man große Umwege über die Autobahn in Kauf nehmen oder man steht im Stau. Innerstädtisch reichen die Straßenkapazitäten nicht aus. Die Baumaßnahme muss deshalb gut nach außen kommuniziert werden. Erfahrungsgemäß dauert es zwei, drei Tage, bis sich die Verkehrsteilnehmer auf eine solche Situation eingestellt haben. Es wird aber immer einige geben, die nichts mitbekommen haben und dann in den Stau fahren. Man wird abwarten müssen, wohin die Verkehre sich in der Zeit verlagern. Es ist ja nicht so, dass die Leute wegen der Sperrung der Viktoriabrücke alle zu Hause bleiben. Ich sehe keine echte Alternative. Umleitungsempfehlungen kann man sich da eigentlich sparen. Eine Bahnlinie ist wie ein Fluss, da hilft nur eine Brücke oder eine Unterführung.

In den nächsten Jahren kommt es noch dicker: Dann müssen der Tausendfüßler und das Endenicher Ei neu gebaut werden. Welche Lösungen schlagen Sie vor, um einen Verkehrskollaps in der Bauzeit auszuschließen? Immerhin rollen mehr als 100.000 Fahrzeuge täglich über den Tausendfüßler.

Schreckenberg: Auch darauf werden sich die Menschen einstellen. Sie werden sich andere Routen suchen. Sie werden sicher nicht umsteigen auf den ÖPNV oder aufs Rad. In jedem Fall wird diese Baustelle so oder so für längere Fahrzeiten sorgen und Bonn im Stau-Ranking weiter oben bleiben.

Was kann die Stadt tun, dass in den Jahren der Bauarbeiten der Verkehr nicht ständig die innerstädtischen Straßen verstopft?

Schreckenberg: Wie gesagt, das funktioniert nur über enge Abstimmungen mit dem Land. Und es müssen Verkehrswege, die nicht über die Autobahn führen, etwa durch Ampelvorrangschaltungen flüssiger gemacht werden. Wenn man alles so lässt, fährt alles über die Autobahn, kommt in den Stau und fährt dann wieder ab mitten in die Stadt hinein, wo dann die Straßen aufgrund der Kapazitätsgrenzen schnell zu sind. Selbst wenn auf der A565 in dem Bauabschnitt weiterhin jeweils zwei Spuren in jede Richtung zur Verfügung stehen, es bleibt eine Baustelle und damit ein Hindernis für den Verkehrsfluss. Die Verantwortlichen müssen rechtzeitig für Strategiepläne sorgen. Man kann nicht erst anfangen nachzudenken, wenn die Baustelle bereits in Betrieb ist. Dann ist es zu spät.

Was müssen Städte wie Bonn tun, um mehr Menschen auf Bus und Bahn zu bekommen?

Schreckenberg: Ein Hauptproblem in Bonn war der Mangel an Fahrpersonal, was zu Ausfällen auf den Linien geführt hat. Inzwischen haben die Stadtwerke viele neue Fahrer und Fahrerinnen eingestellt. Man darf aber nicht unterschätzen, wie sensibel die Menschen auf unzuverlässigen ÖPNV reagieren. Sie steigen dann wieder auf das Auto um. Zudem muss das Preis-Leistungsverhältnis stimmen. Das Ein-Euro-Ticket war ein Schritt in die richtige Richtung. Obgleich das Ticket für Pendler nicht geeignet war, da es nur in Bonn galt. Anstatt es abzuschaffen, hätte man es auf die Region ausweiten müssen. Schade, dass es jetzt anders gekommen ist.

Aber die Kommune ist finanziell klamm, erst recht durch Corona. Wer soll das denn bezahlen?

Schreckenberg: Die Politik müsste andere Prioritäten setzen. Dazu gehört, dass der Bund die Kommunen finanziell besser ausstattet und diese dann mehr Geld für einen attraktiveren ÖPNV in die Hand nehmen können.
Der Einzelhandel pocht auf eine gute Erreichbarkeit der Innenstadt auch für Autofahrer. Wie kann und sollte dem Anliegen in Zukunft Rechnung getragen werden?

Schreckenberg: Laut einer ADAC-Studie sind 30 Prozent reiner Parksuchverkehr. Dafür muss man Lösungen finden. Es gibt ja schon heute intelligente Lösungen, etwa über Apps oder Parkleitsysteme. Wichtig ist, dass genügend Parkflächen zur Verfügung stehen. Wir werden immer Autoverkehr in der Innenstadt haben, es sein denn, man sperrt sie für den Individualverkehr. Damit würde man aber eine Innenstadt lahmlegen, nach Geschäftsschluss wäre da nichts mehr los. Das sieht man ja an der Bonner Fußgängerzone.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Schreckenberg: Ich bin vielmehr für „Share Space“,  also für eine verkehrsberuhigte Zone, wo auch Autos durchfahren dürfen. Die Menschen fahren mit dem Auto zum Einkaufen, weil sie ihre Einkäufe besser transportieren können. Die Bevölkerung wird älter, und damit der Anteil derer, die mit dem Auto in die Stadt zum Einkaufen fahren wollen, größer. Verwaltung und Politik müssen bei ihren Planungen die Menschen mehr mitnehmen, stattdessen binden sie sie kaum ein. Das ist ein Fehler.

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