Manche schlafen sogar bei 75 Dezibel

Mit weltweit einmaligem Programm wollen Kölner Luft- und Raumfahrtmediziner Auswirkungen des Fluglärms erforschen

Bonn/Berlin. Es ist zwei Uhr morgens und wieder startet eine Frachtmaschine. Die Anwohner schlafen, wenn sie können. Aber wie? Das will das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in einem "nach Art und Umfang weltweit größten Vorhaben" auf diesem Gebiet nun herausfinden und hat dazu 1999 das Forschungsprogramm "Leiser Flugverkehr" aufgelegt, das DLR-Vorstandsvorsitzender Walter Kröll in Berlin jetzt vorstellte.

Das DLR, das sich als Forschungsunternehmen und als nationale Raumfahrtagentur versteht, will damit zwei Interessen bedienen. Wegen des stetig wachsenden Flugverkehrs, der vor allem bei der Fracht immer mehr Nachtflüge nötig macht, will Kröll die "Mobilität" im Lande gesichert sehen. Das wollen auch Triebwerkshersteller und Flughäfen, die sich an der Studie beteiligen.

Zudem wollen die DLR-Wissenschaftler herausfinden, wie Fluglärm nachts auf Gesundheit und Schlaf wirkt und wie man Fliegen leiser machen kann. Bisher seien die Auswirkungen von Fluglärm auf den Schlaf, die Gesundheit und das Leistungsvermögen von Menschen "nicht hinreichend untersucht" worden.

Der Leiter des Programms, Alexander Samel, Leiter Flugphysiologie beim Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, sagt, das DLR wolle mit dem Projekt einen "gesellschaftlichen Beitrag" leisten und gleichzeitig "etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland tun". Das DLR-Institut untersucht dabei, welche physiologischen und psychischen Reaktionen nächtlicher Fluglärm beim Menschen auslöst.

"Einzigartig" an der Studie sei, dass erstmals physiologische und akustische Daten gleichzeitig aufgezeichnet würden, sagt Samel. Ein Flugzeug startet, der Proband dreht sich im Bett um, sein Plus steigt, der Atem geht schneller. So könnte ein Beispiel aussehen.

Am Ende des Programms "Leiser Flugverkehr" will das DLR der Politik Empfehlungen geben, welche Schwellenwerte bei der Ausweisung von Schutzzonen künftig angesetzt werden sollten. Dabei werde voraussichtlich nicht nur der Schallpegel selbst eine Rolle spielen, sondern auch die Anzahl der Überflüge, wie DLR-Chef Kröll sagt.

Projektleiter Samel weist in diesem Zusammenhang auf die laufende Diskussion über die Novelle des Fluglärmgesetzes hin. Das DLR forscht auch in der Gewissheit, dass der Flugverkehr weiter zunehmen wird. Das Aufkommen der Fluggäste auf den deutschen Verkehrsflughäfen hat sich nach DLR-Angaben seit der Mitte der 60-er Jahre bis heute um etwa das Siebenfache erhöht. Im Fracht- und Postverkehr sei sogar ein Anstieg auf das Neunfache zu verzeichnen. Große Fracht- und Logistikdienstleister wickelten schon heute einen Großteil ihres Frachtaufkommens nachts ab. Außerdem sei absehbar, dass angesichts der schon jetzt an die Grenzen stoßenden Kapazitätsauslastung einiger Flughäfen am Tage und der absehbar weiteren Zunahme des Flugverkehrs künftig immer häufiger in den Tagesrandzeiten und nachts geflogen werde.

Insgesamt 192 Frauen und Männer zwischen 18 und 65 Jahren untersuchen die DLR-Wissenschaftler vom Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln-Porz, wenn sie schlafen. 128 Personen schlafen im Labor, bei 64 Probanden kommt das DLR nach Hause. In einem mehr als 300 Quadratmeter großen schallisolierten Akustiklabor mit acht Schlafräumen werden während der Beschallungsnächte Fluggeräusche in die zuvor gemessenen Schlafräume eingespielt.

Alle physiologischen Reaktionen der Testschläfer werden aufgezeichnet: Gehirnströme, Elektrokardiogramm, Fingerpuls-Amplitude, Atmung. Als zusätzliche physikalische Indikatoren interessieren sich die Wissenschaftler unter anderem auch noch für die Lage im Bett und für die Aktivität einer Hand während des Schlafes. In 13 jeweils aufeinanderfolgenden Untersuchungsnächten werden die Probanden beobachtet. Nach insgesamt vier Jahren und 2 500 Untersuchungsnächten will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt mehr über die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm wissen. DLR-Chef Kröll spricht von "validen Daten".

Schon jetzt, nach rund 800 Untersuchungsnächten bis Ende 2000, sagt Kröll, dass bei den Testschläfern "keine signifikante Ausschüttung von Stresshormonen auch bei größeren Ereignissen" festgestellt worden sei. Was Programmleiter Samel erzählt, könnte man auch so zusammenfassen, dass es Menschen gibt, die besser als andere schlafen. Es gebe Probanden, die wachten bei einem Geräuschpegel von 65 Dezibel auf, während andere aber noch bei 75 Dezibel weiter schliefen. Zum Vergleich: Ein Gespräch in normaler Lautstärke verursacht einen Geräuschpegel von 60 Dezibel, schreien sich zwei Menschen an, werden zwischen 75 und 80 Dezibel erreicht. Bei Nachtflügen werden maximale Außenpegel von bis zu 90 Dezibel gemessen.

Mit der "soliden, breit angelegten Studie" will das DLR "wesentliche Grundlagen für die Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs zu einer wirkungsvollen Verminderung der Lärmbelastung in der Umgebung von Flughäfen liefern". Selbst bei einem angenommen Anstieg des Flugverkehrs um 50 Prozent in den kommenden Jahren würden die Gegenmaßnahmen "zu einer deutlichen Lärmentlastung der Bevölkerung führen", verspricht Samel. Erste Versuche, bei denen der Triebwerkslärm mit so genanntem Gegenschall bekämpft werde, hätten in einzelnen Frequenzbereichen eine Lärmreduzierung von bis zu elf Dezibel ergeben. Kröll sagt, die DLR-Studie soll einen Beitrag liefern, wie man Fliegen leiser machen könne. Nur eines ist nach seinen Worten kaum zu erwarten: "Das lautlose Flugzeug ist eine Vision."

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