Hefezellen als "Spürhunde" für Umweltgifte

Die Bonner Biologin Hella Lichtenberg entwickelt einen Test, mit dem sich giftige Verbindungen in Gewässern schnell nachweisen lassen

Bonn. Sie hatte Glück. Hinter der Biologin Hella Lichtenberg lagen nicht Jahre voll mühseliger Laborarbeit mit etlichen fehlgeschlagenen Experimenten und immer wieder neuen Versuchsreihen. "Ich hatte eine gute Idee, und es hat geklappt", sagt die habilitierte Biologin von der Universität Bonn. Als sie kürzlich den erstmals verliehenen Motivationspreis in Höhe von 10 000 Mark für ihre Entwicklung eines Biotests erhielt, hatte sie gerade mal drei Monate im Labor des Botanischen Instituts getüftelt. Mit Hilfe dieses Tests können Umweltgifte rasch aufgespürt werden. "Die Entwicklung verlief geradezu lehrbuchmäßig", sagt die 40-Jährige.

Der mit insgesamt 105 000 Mark dotierte Motivationspreis fördert Gründungsinitiativen und praxistaugliche Innovationen in der Bio- und Gentechnologie, Medizin und Pharmazie, Pflanzenbiologie, Agrar- und Ernährungswissenschaften. Er wendet sich an junge Forscher und Forscherinnen. Die Auszeichnung steht unter der Schirmherrschaft des Bonner Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften, Professor Reinhard Selten, wird von der Ruhr-Uni Bochum vergeben und von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen gestiftet.

Hella Lichtenberg ist besonders den gefährlichen Organozinnverbindungen auf der Spur. Diese können beim Menschen eine Vielzahl schlimmer Folgen haben: Wirken die Umweltgifte etwa auf die Hypophyse, die Schilddrüse oder andere Hormondrüsen, kann der ganze Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht geraten. Wissenschaftliche Untersuchungen bei Tieren haben gezeigt, dass diese durch Kontakt mit zinnorganischen Verbindungen unfruchtbar wurden, bestimmte Arten drohten sogar auszusterben. "Wir können Organozinnverbindungen nicht entgehen. Sie lauern überall", sagt Hella Lichtenberg.

Die giftigen Stoffe, die biologisch nicht abbaubar sind, werden in der Industrie zur Imprägnierung, Stabilisierung und Konservierung verschiedener Produkte eingesetzt, außerdem in der PVC-Verarbeitung, als Holz- und Materialschutzmittel für Textilien, für Dichtungen, Anstriche, Klebstoffe und Dämmstoffe sowie als Schädlingsmittel in Landwirtschaft, im Gartenbau und in der Tierhaltung. Durch Auswaschungen gelangen viele der Chemikalien in die Gewässer. Um die Belastungen mit den Umweltgiften frühzeitig festzustellen und einzudämmen, sind Nachweistests notwendig.

Bislang wurden Organozinnverbindungen mit gas- oder flüssig-chromatographischen Verfahren ausfindig gemacht. Diese Verfahren sind jedoch technisch aufwendig und teuer. Biotests gab es bisher nicht. Die von Hella Lichtenberg entwickelten Tests beruhen auf konstruierten hochempfindlichen Hefestämmen (Saccharomyces cerevisiae). In den Hefezellen wurden drei entscheidende Transportersysteme ausgeschaltet, die normalerweise das Eindringen von Schadstoffen ins Zellinnere verhindern beziehungsweise giftige Substanzen aus der Zelle hinausbefördern. Durch Entfernung der Transporter wurden die Hefezellen für Umweltgifte wie zum Beispiel die Organozinnverbindungen erheblich empfindlicher und waren in dieser Hinsicht vergleichbar mit menschlichen Zellen.

Weniger Tierversuche

Die Biologin nutzt die Tatsache, dass, wenn das Erbgut von Hefezellen geschädigt wird, umgehend Reparaturgene ihre Arbeit aufnehmen. Mit Hilfe eines Reportersystems, das die Forscherin in das Genom der Hefezelle eingebaut hat, kann nun erfasst werden, ob und wie Organozinnverbindungen und andere Gifte die Erbsubstanz schädigen. Denn das Reportersystem zeigt durch ein grünes Leuchten (Fluoreszenz) an, wie stark die Reparaturmechanismen arbeiten, die beim Angriff auf das Genom angeschaltet werden. "So lässt sich also feststellen, in welchem Ausmaß das jeweilige Umweltgift für die Erbsubstanz eine Gefahr ist", erklärt Hella Lichtenberg. Je stärker die toxische Wirkung ist, um so mehr nimmt die grüne Leuchtfarbe zu. Die Wissenschaftlerin schleuste ein weiteres Reportersystem in die Hefezellen ein. Dieses lässt durch rote Fluoreszenz erkennen, dass Stoffwechselmechanismen beschädigt sind. Anders als bei der grünen Fluoreszenz nimmt die rote Leuchtfarbe ab, je größer die Bedrohung für die Zelle ist.

Parallel dazu wird die Proteinbiosyntheserate gemessen, die Auskunft über das Wohlbefinden der Zelle gibt. "Der Test ermöglicht es, alle Schadstoffe, die in der Messprobe vorkommen, und mögliche Abbaustoffe aufzuspüren", sagt Hella Lichtenberg. Ein Endergebnis liegt nach acht Stunden vor, allerdings lässt sich schon vorher der Verlauf beobachten.

Der Biotest wird nun in verschiedenen Verfahren überprüft und zur Produktionsreife weiterentwickelt. Spätestens in zwei Jahren soll er auf dem Markt sein. Die Biologin hat bereits ein Patent angemeldet. Ein Entwicklungsziel ist ein tragbares Messgerät, um schnell Wasserbelastungen festzustellen. Besonders in der Wasserüberwachung sieht Hella Lichtenberg breite Einsatzmöglichkeiten für den Bioassay. Bisher müssen in der Umweltanalytik Fische und Krebse als Umweltanzeiger herhalten. "Hier könnte der Test mehr Tierschutz bringen", so die Forscher. Das gilt auch für die Hauttests in der Kosmetikindustrie. Vielfach werden Cremes, Puder, Gesichts- und Rasierwasser sowie Schminke am Kaninchen-Auge geprüft.

"Wenn ich mit meinem Bioassay bewirke, dass weniger Tierversuche notwendig sind, habe ich einen Beitrag zum Tierschutz geleistet", sagt Lichtenberg. Schließlich wäre denkbar, den Test bei der Überprüfung neuer Medikamente einzusetzen. So ließen sich Versuche mit Ratten, Mäusen und Hühnern ersetzen.

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