Halbgötter vor dem Staatsanwalt

Klinikchefs wird immer häufiger Bestechung im Amt vorgeworfen, weil sie Drittmittel für ihre Universität einwerben - Hans-Jürgen Biersack von der Bonner Uni leistet Widerstand

  Professor Hans-Jürgen Biersack  kämpft. Er will rechtliche Klarheit.

Professor Hans-Jürgen Biersack kämpft. Er will rechtliche Klarheit.

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Bonn. Gegenwärtig berät er Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping über die mögliche Gesundheitsgefährdung durch die Uranmunition auf dem Balkan. Hans-Jürgen Biersack, der Leiter der Bonner Universitätsklinik für Nuklearmedizin, ist eine internationale Autorität auf diesem Gebiet, der Strahlenkunde. Schon früher hat der Bundespräsident seine Leistung in Forschung, Lehre und Krankenversorgung mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die Schattenseite der Wissenschaftlerkarriere: Die Staatsanwaltschaft hielt in der Privatwohnung des Professors Hausdurchsuchung und klagt ihn inzwischen wegen Korruption im Amt an.

Biersacks Missgeschick ist kein Einzelfall, was für ihn allerdings kein Trost, sondern umgekehrt Motiv zu unbeugsamer Gegenwehr ist. Ähnlich wie ihm ergeht es seit einigen Jahren Hunderten von Klinikchefs. Sie sind die üblichen Verdächtigen im Kampf der Staatsanwälte gegen Wirtschaftskriminalität. Viele Verfahren wurden mit finanziellen "Auflagen" eingestellt, die keine Vorstrafen sind, andere endeten mit saftigen Geldbußen bis zu 250.000 Mark, einzelne mit Freisprüchen. Kräftigen Gegenwind bekommen die Halbgötter in Weiß seit den so genannten "Herzklappen-Fällen", die die Justiz seit 1994 zu geradezu flächendeckenden Ermittlungen veranlassten.

Leitende Krankenhausärzte sollen den Ankauf überteuerter Produkte verordnet haben, um sich bei den Lieferanten über "Bonus-Konten" dienstliche beziehungsweise private Vorteile zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund wurde 1997 die Korruptionsgesetzgebung verschärft (Paragraph 331 und folgende des Strafgesetzbuchs). Seither geraten auch von Firmen bezahlte Kongresseinladungen (mit oder ohne Begleitung), Gutachten, Spenden und sonstige geldwerte Zuwendungen regelmäßig in Verdacht.

Ein Herzspezialist der Uniklinik Hamburg-Eppendorf musste sich jüngst etwa aus dem Zeitraum 1990 bis 1997 Hotelkosten (Maritim, Steigenberger), Flugreisen (Hamburg - Chicago - Los Angeles - Hamburg), Honorare für Fortbildungsveranstaltungen sowie einen Beratervertrag vorwerfen lassen, weil er bei den Finanziers - nicht nur bei diesen, aber eben auch bei ihnen - Herzkatheter bestellt hatte. Für die Staatsanwälte rochen die Einladungen nach Bestechung und Bestechlichkeit, auch wenn der Professor ihnen nicht zum reinen Vergnügen, sondern mit entsprechenden Gegenleistungen wie etwa einer Kongressrede folgte. Zumal Engagement in der Fortbildung zu den ausdrücklichen Dienstpflichten eines Hochschullehrers zählt.

Im (bislang) einzigen Bonner Fall konkretisiert die Sprecherin des Landgerichts, Susann Ulbert, die Anklage so: Biersack habe von 1991 bis 1999 in 52 Fällen bei fünf Firmen Produkte im Wert von zehn Millionen Mark bestellt und umgekehrt als "umsatzabhängige Zahlungen" 2,1 Millionen auf ein offizielles Uni-Konto erhalten, als "Drittmittel" für Sach- und Personalausgaben in seiner Klinik.

Die Staatsanwaltschaft wittert darin einen fragwürdigen Rabatt, ohne jedoch zu behaupten, dass die Bestellungen zu teuer bezahlt worden wären. Peter Dieners, Experte bei der international renommierten Anwaltskanzlei Clifford, Chance, Pünder in Düsseldorf erläutert die Rechtslage: "Das Antikorruptionsgesetz von 1997 verlangt, dass die regelmäßig in öffentlichen Diensten stehenden Krankenhausärzte nicht einmal den Eindruck erwecken, ihre Entscheidung zur Beschaffung von Arzneimitteln oder Medizinprodukten sei durch die Kooperation mit der Industrie beziehungsweise durch deren Unterstützung beeinflusst."

Früher musste in jedem einzelnen Fall ein direkter Zusammenhang zwischen der Auftragserteilung an eine Firma und deren Zuwendung an die Klinik hieb- und stichfest nachgewiesen werden, was oft misslang. "Es hat deshalb eine Vorverlagerung strafrechtlich relevanten Verhaltens stattgefunden", erläutert Jens Göben vom Deutschen Hochschulverband, der Standesvertretung der Universitätsprofessoren. "Durch diese Vorverlagerung soll vermieden werden, dass Fälle, in denen Zuwendungen ,zum Zwecke der Klimapflege'''' oder zur ,Erlangung allgemeinen Wohlwollens'''' erfolgten, aus Gründen mangelnder Beweisbarkeit folgenlos bleiben."

Professor Biersack wird notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof durchprozessieren, weil die laxer gewordenen Beweispflichten der Staatsanwälte seines Erachtens gegen die "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" verstößt. Biersack kämpft in erster Linie nicht einmal ums Recht, sondern für eine optimale Patientenversorgung. In einem Beschwerdebrief an den Ministerpräsidenten Wolfgang Clement weist er auf "erhebliche Personaldefizite" in seiner Klinik hin, die "nur durch Drittmittelstellen der Industrie finanziert werden können." Sonst müsste die Krankenversorgung leiden, zuerst im Bereich der stationären Kassenpatienten.

Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Gabriele Behler fordert die Hochschulmediziner sogar ausdrücklich zur "Drittmitteleinwerbung" auf, da Vater Staat nichts mehr in der Tasche hat. Auch das internationale Niveau der Forschung kann nur über die Zusammenarbeit mit der Pharma-Industrie realisiert werden. "Die aber wird keine Mittel in Deutschland bereitstellen", so Biersack, "wenn laufend neue Aktionen der Staatsanwaltschaft drohen." Im Schreiben an Ministerpräsident Clement dreht Biersack den Spieß sogar um: "Man muss in dem Zusammenhang auch hinterfragen, ob das Ministerium sich strafbar macht, wenn ein Lehrstuhl für Schmerztherapie eingerichtet wird, der durch eine Firma finanziert wird, mit der in erheblichem Umfang Geschäftsbeziehungen bestehen."

Das Recht muss nach einer alten Weisheit seinen ,Sitz im Leben'''' haben. Das ist bei ,Straftaten im Amt'''' von Medizinprofessoren vielfach nicht mehr der Fall. Darunter leidet die gesamte medizinische Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Vielleicht kann Hans-Jürgen Biersack mit seiner Entschlossenheit durchzuprozessieren, um rechtliche Klarheit zu schaffen, der Misere abhelfen - nach dem Bundesverdienstkreuz hätte er dann wohl noch eine weitere Auszeichnung verdient.

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