Interview mit Grünen-Chef Robert Habeck Robert Habeck: „Der Klimawandel ist nicht weg“

Berlin · Die Opposition hat es schwer in diesen Tagen. Corona-Zeit ist Regierungszeit. Grünen-Chef Robert Habeck redet im Telefoninterview auch über den (digitalen) Länderrat an diesem Samstag. Mit Habeck sprachen Holger Möhle und Eva Quadbeck.

 Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.

Foto: dpa/Carsten Rehder

Auf welchen Zeitraum stellen Sie sich ein, bis so etwas wie Normalität in unser aller Alltag zurückkehrt?

Robert Habeck: Eine Normalität wie vor Corona, in der wir sorglos und ohne Schutzmaske unterwegs sein können, wird erst wieder möglich sein, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Ich rechne damit, dass wir noch eine lange Zeit, ein Jahr, vielleicht auch eineinhalb Jahre, mit dem Coronavirus und den damit verbundenen Einschränkungen leben müssen. Aber das heißt nicht automatisch eineinhalb Jahre Lockdown…

…sondern?

Habeck: Natürlich müssen wir Vorsicht walten lassen. Aber wenn Reproduktionsrate und Neuinfektionen es erlauben, müssen wir zu einer zielgenauen Bekämpfungsstrategie übergehen. Die Voraussetzungen sind seit Wochen klar: Gebraucht wird die Tracing-App. Sie gibt einem den Hinweis, dass man getestet werden muss, wenn man sich in der Nähe eines Infizierten aufgehalten hat. Es braucht ausreichend Tests und genügend Personal in den Gesundheitsämtern. Dann blieben jene Menschen zu Hause, die infiziert sind. So kappt man die Infektionsketten, ohne ganze Bundesländer herunterzufahren. Ich hätte eine solche App schon längst auf mein Smartphone geladen, wenn es sie schon gäbe. Dass diese Voraussetzungen immer noch nicht geschaffen sind, ist ärgerlich. Das zwingt die Gesellschaft in eine spaltende Debatte über Öffnen oder Schließen und wird inzwischen zu einem Versäumnis der Bundesregierung.

Wann kann dann der Regelunterricht an Schulen wieder starten?

Habeck: Immerhin haben die Kultusminister jetzt das Ziel ausgegeben, dass jede Schülerin und jeder Schüler vor den Sommerferien wieder in die Schule gehen kann, etwa in Kleingruppen. Aber sie lassen noch zu viele Kinder und Eltern ohne Plan und Aussicht. Nötig sind konkrete Pläne und eine Umsetzung, die sich auch am Sozialen orientiert. Gerade die Kleineren, die Situation von Alleinerziehenden, der Stress zu Hause – all das ist zu lange aus dem Blick geraten. Der Bund sollte dringend aus dem Sozialbudget einen Fonds zur Verfügung stellen, mit dem Kitas und Schulen zusätzliches Personal zur individuellen Betreuung einstellen können.

Sind die Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig?

Habeck: Sie waren es – aus der Vorsicht heraus, dass wir den steilen Anstieg der Infektionszahlen stoppen mussten. Die Verhältnismäßigkeit muss aber immer wieder überprüft werden. Je länger die Einschränkungen dauern, umso stärker ist die Begründungspflicht des Staates. Wir sehen ja jetzt schon reihenweise Urteile von Verfassungsgerichten, die Regeln kassieren. Es rächt sich, dass die Bundesregierung noch immer nicht die Voraussetzungen für die zielgerichtete Bekämpfungsstrategie voll geschaffen hat.

Wir steuern auf den dritten sehr trockenen Sommer in Folge zu. Wann redet die Politik wieder über den Klimawandel?

Habeck: Der Klimawandel ist nicht weg, nur weil Corona die Schlagzeilen beherrscht. Entscheidend ist jetzt, dass wir mit den vielen Milliarden Euro, mit denen wir die Folgen von Corona abmildern, beide Krisen gleichzeitig bekämpfen: die Rezession durch Corona und die Klimakrise. Wir mobilisieren Geld für die Wirtschaft in einem nie gekannten Maß. Wenn wir damit nicht das Wirtschaften auf Nachhaltigkeit umstellen, produzieren wir an anderer Stelle wirtschaftliche und soziale Schäden. Das bedeutet für Autoindustrie oder Luftfahrt, dass es Geld nur im Gegenzug für verbindliche Klimaschutzanstrengungen geben kann.

Der Wildtiermarkt in Wuhan gilt als Ursprungsort der Pandemie. Müssen etwa die G20-Staaten, zu denen China gehört, nicht dringend ein Verbot von Wildtiermärkten fordern?

Habeck: Der Ursprung des Coronavirus ist nicht sicher. Hier brauchen wir Aufklärung, China darf sie nicht verhindern. Aber unabhängig davon: Corona ist tierischen Ursprungs. Schon bei Ebola, Sars und Mers waren es Viren aus dem Tierreich, die die Artengrenze übersprungen haben. Biologen warnen, dass die Gefahr vor solchen Virusinfektionen größer wird, je mehr Menschen in Bereiche vordringen, die bisher nicht von Menschen berührt waren. Der Schutz des tropischen Regenwaldes oder des Amazonas-Gebietes hat mit Gesundheitsschutz zu tun. Wir sollten die wilde Natur in ihrer Wildheit unberührt lassen. Der Mensch kann nicht alles jagen, was Eiweißträger ist. Insofern bin ich sehr dafür, wenn etwa die G20 eine Initiative für ein generelles Verbot von Wildtiermärkten starten würden.

Viele Bundesländer fahren nach eigenem Fahrplan durch diese Krise. Wie sehr schadet dieser Flickenteppich, die Infektionszahl wirksam nach unten zu bringen?

Habeck: Die Länder sind unterschiedlich stark betroffen. Eine Stärke des Föderalismus ist, dass er regional unterschiedlich agieren kann. Aber das müsste auf einer gemeinsamen, objektiven Grundlage, Risikoeinschätzung und klaren Kriterien passieren. Die Bundesregierung muss das vielstimmige Orchester der Länder so dirigieren, dass diese zwar ihre unterschiedlichen Instrumente spielen, aber die Noten müssen gleich sein. Dann wäre es in Ordnung, wenn das eine Land seine Restaurants früher öffnet als ein anderes. Im Moment geht es unter den Ländern zu wie beim Hornberger Schießen, auch darum, wer der schönste Schützenkönig ist…

…Söder oder Laschet?

Habeck: Die Lage ist zu ernst für die Machttaktik in innerparteilichen Auseinandersetzungen. Deutschland braucht einen gemeinsamen Plan. Und da sollten sich die Länderfürsten besser abstimmen und mehr zurückhalten. Führen bedeutet nicht vorpreschen, sondern sich zurückzunehmen.

Die Grünen sprechen sich in ihrem Leitantrag für den Kleinen Parteitag an diesem Samstag für einen neuen Lastenausgleich, eine Art Corona-Soli, zur Finanzierung der Folgen aus. Welche Einkommen und welche Vermögen wollen Sie besonders heranziehen?

Habeck: Das sind zwei verschiedene Instrumente. Der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Vermögensabgabe, der Soli ist ein Zuschlag auf die Einkommensteuer. Welches Instrument wir brauchen, lässt sich heute noch nicht abschließend beurteilen, weil weder das Ausmaß der Schäden noch die Höhe der Schulden klar ist. Wir plädieren für möglichst lange Laufzeiten der Kredite. In jedem Fall muss das Solidaritätsprinzip gelten: Wer wohlhabend ist, muss auch mehr tragen.

Die Grünen wollen nun auch die Schuldenbremse reformieren. Dafür müssen Sie das Grundgesetz ändern und dazu wiederum brauchen Sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Woher soll die im Bundestag kommen?

Habeck: Vor Corona hätte ich gesagt, wir haben da keine Chance zur Änderung der Schuldenbremse. Jetzt hoffe ich, dass alle Parteien aus der Krise lernen. Anders als 2009 werden wir uns dieses Mal nicht aus der Krise herausexportieren können. Die Abnehmerländer deutscher Güter, namentlich die USA, sind heute selbst von der Corona-Krise betroffen. Und es wäre sehr schädlich, wenn wir nach der Krise sofort wieder anfangen, zu sparen. Bei hoher Arbeitslosigkeit und schwacher Wirtschaft würden soziale Kürzungen voll reinschlagen. Das würde Wiederaufbau und Erholung gefährden und dem Populismus Auftrieb geben. Das ist die Mixtur, die die Weimarer Republik zerstört hat. Wir brauchen Bildung, schnelles Internet, saubere Toiletten und eine gute Ausstattung in den Schulen, Daseinsvorsorge, kurz: Investitionen.

Was fehlt Ihnen derzeit persönlich am meisten?

Habeck: Dass ich meine Eltern einmal wieder in den Arm nehmen kann.

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