Die Hoffnung macht sich aus dem Staub

Klaus Weise inszeniert Lars Noréns Heimkehrer-Drama "Krieg" in den Bad Godesberger Kammerspielen - Die Figuren sind nicht mehr als Chiffren, die der Regisseur raffiniert beleuchten lässt

  Mutter gegen Tochter:  Susanne Bredehöft und Maria Vogt

Mutter gegen Tochter: Susanne Bredehöft und Maria Vogt

Foto: Beu

Bad Godesberg. Theaterzuschauer sind grausam. Sie können stundenlang Zeuge sein, wie Menschen auf der Bühne leiden, sich quälen und sogar sterben. Die Leute im Parkett leiden mit, aber sie wollen auch unterhalten werden und auf ihre Kosten kommen. Ihr Mitleid mit den Figuren überdauert selten den Schlussapplaus. Danach schmeckt der Lachs mit Nudeln vom Premierenfeier-Büffet.

In den Kammerspielen hat Klaus Weise Lars Noréns raues, erbarmungsloses Stück "Krieg" als deutschsprachige Erstaufführung herausgebracht. Es ist ein Heimkehrerstück, das offenbar auf dem Balkan spielt.

Die Leute leiden, sie quälen sich, und zumindest seelisch sind sie so gut wie tot. Wie die Inszenierung.

Sie macht es dem Publikum schwer, mit dem aus dem Krieg heimkehrenden, erblindeten Vater, seiner Frau und seinen beiden Töchtern zu empfinden; und sie beweist, wie lang 95 Minuten sein können.

Dabei fängt alles so gut an. Die ersten Szenen machen das Publikum schlagartig mit dem Milieu vertraut, in dem Norén die Verwüstungen des Krieges illustriert. Beenina (Xenia Snagowski) ist fünfzehn und geht auf den Strich. Ihre Schwester Semira (Maria Vogt) klagt über den Zustand der Laken: "Die sind schmutzig. Voller Scheiße, Pisse und Hundehaare."

Die Mutter (Susanne Bredehöft) hat einen Liebhaber; es ist ihr Schwager (Andreas Maier). Die Mutter verkörpert den seit knapp zwei Jahren abwesenden Vater mit: Sie trägt Anzug und Kurzhaarfrisur. Die Verhältnisse lasten wie Blei auf Bredehöfts Figur, ihre Stimme bleibt monoton, kommt nicht mehr richtig hoch. Als ihr von Yorck Dippe verkörperter Mann plötzlich im Raum steht, nimmt sie das gleichsam achselzuckend zur Kenntnis.

Die unterkühlte, gestelzte, theatralisch anmutende Diktion ist, von schreiend dramatischen Ausbrüchen abgesehen, prägend für den Abend. Weise hat die Emotionen heruntergedimmt, um ja kein Betroffenheits-Pathos zu verbreiten, um zu zeigen, dass beinahe alles Leben aus den Menschen gewichen ist.

Doch der Inszenierungsstil ist so lakonisch, dass er schon gleichgültig erscheint. Seine Figuren sind nicht mehr als Chiffren, die der Regisseur raffiniert beleuchten lässt oder in ein jenseitiges Zwielicht hüllt. Die Ästhetik tritt an die Stelle der Menschendarstellung. Regietheater pur.

Manfred Blößers Bühne ist Symbol und Seelenlandschaft. Sie zeigt eine zerborstene Straße oder Brücke, auf der die Schicksale verhandelt werden. Paradoxerweise umgibt die Katastrophen-Architektur viel Grün, dabei hat sich die Hoffnung hier längst aus dem Staub gemacht - auch wenn die 12-jährige Semira mit Mickymaus-Maskierung auf eine bessere Welt verweist und immer wieder von Deutschland schwärmerisch die Rede ist.

"Kinder gibt`s nicht mehr", sagt Beenina. Heirat und Liebe sind für sie keine realistischen Optionen mehr. Xenia Snagowski hat die stärkste Szene des Abends, ihr Lamento über den Krieg ist bewegend und intensiv, ein bisschen Tschechow-Schwermut im Schweden Norén. Schauspielertheater pur.

Es sind die wenigen Szenen dieser Art, mit denen der "Kriegs"-Abend gegen Ende Leben gewinnt. Sie deuten an, was hätte sein können. So bleibt diese Inszenierung den Zuschauern so fremd wie die Charaktere einander.

Um uns darüber nicht im Unklaren zu lassen, halten Susanne Bredehöft und Yorck Dippe immer gewaltige Distanz. Achtung, Entfremdung! Die wird nur gewaltsam aufgehoben, als Dippes wie ein Mahnmal auftretender Trauma-Soldat seine Frau mit Schlägen gefügig machen will. Zuvor hat sich die Schauspielerin im raffinierten Halbdunkel ausgezogen.

Grau ist die Farbe des Abends, der mehr wollte, als er zeigen konnte. Ohne Gewinn gehen die Leute aber nicht nach Hause. Das Programmheft ist ein Poesiealbum zum Thema Krieg. Philosophische Köpfe und Dichter kommen zu Wort: von Laotse bis Karin Hempel-Soos.

Karten unter anderem in den Zweigstellen des General-Anzeigers und im General-Anzeiger Ticket-Shop.

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