Zu zart, um gedacht zu werden

Wolfgang Laib gehört zu den Säulen der Bonner Sammlung: Nach der Retrospektive 1992 zeigt das Kunstmuseum nun seine Zeichnungen, die spröde "Essenz des Wirklichen"

Zu zart, um gedacht zu werden
Foto: Fischer

Bonn. Mancher kann sich den Kalauer nicht verkneifen und nennt Wolfgang Laib einen "Haselnußpollenbergsteiger" (FAZ). Doch in der Regel stellt sich stille Andacht ein, sobald man einen Raum dieses Künstlers betreten hat. Denn Laibs Milchseen und Pollen-Teppiche, duftende Bienenwachshäuser und Blütenstaubgläser gehören zu einer Sphäre, die nicht von dieser - westlichen - Kunstwelt ist.

Katharina Schmidt, ehemalige Direktorin des Bonner Kunstmuseums, wählte einmal ein Novalis-Wort, um das Faszinosum Laib zu beschreiben: "Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden." Der Spruch stammt - wie passend - aus den Blütenstaub-Fragmenten (1797/98).

Es geht um ein Oeuvre fast ohne ersichtliche Progression; eine Handvoll Motive und Elemente, die einem archaischen, überzeitlichen, kollektiven Repertoire anzugehören scheinen; und dann ein Künstler, der Frühjahr für Frühjahr in die Natur zieht, um Blütenstaub zu ernten, diesen dann zu Installationen verarbeitet, im Herbst seine Milchsteine schleift, sich im Winter dann ins süddeutsche Atelier zurückzieht, um zu zeichnen.

Laib (Jahrgang 1950) passt in kein gängiges Schema, das will er auch nicht. "Die Kunstakademie wäre ein schrecklicher Umweg gewesen", sagt der studierte Mediziner, der seinen Beruf jedoch nie ausübte. Gerade, was die Zeichnung angeht, hätte sich der Umweg Akademie aber sicherlich gelohnt.

Laibs Winterarbeit, das zeichnerische Oeuvre also, steht im Mittelpunkt einer umfangreichen Werkschau des Kunstmuseums. "Die Essenz des Wirklichen" ist sie überschrieben: spröde Kost. Von dem ephemeren Zauber seiner gleichsam über dem Boden schwebenden Blütenstaubfelder oder -kegel, dem Glanz der Milchsteine, der meditativen Reihung von Reisschüsseln aus Messing ist auf dem Papier nicht viel übrig geblieben: Allenfalls archaische Grundformen, die Laib mit sparsamsten Mitteln in der Zeichnung festhält.

Während er bei Installationen mit einer traumwandlerischen Präzision und einem feinen Gespür für Spannungen seine Kunst platziert, wirkt er auf dem Papier geradezu gehemmt, unschlüssig, blass.

Gleichwohl bieten die Zeichnungen und mehr noch seine Fotografien aus fernen Ländern einen Einstieg in das Laib-Werk: Indische Grabkunst, Tempelarchitekturen und Sarkophage, Altäre und Opferrituale haben ihn beschäftigt.

Das Transzendentale, die Reise ins "Anderswo" oder "Nirgendwo", die Spannung zwischen Beständigem und Flüchtigem, die Welt des Irrationalen: Darum kreist die Formensprache des Künstlers.

Die Zeichnungen dienen als Protokoll und Selbstvergewisserung, wagen im Experiment die Verknüpfung verschiedener Motive, sind aber nie als Skizzen für Installationen gedacht.

90 Blätter zeigt das Kunstmuseum, ein Drittel hätte vollkommen gereicht, um das Prinzip zu vermitteln. Die weit beachtete Laib-Retrospektive, die nach einer Tournee durch die USA 2001 im Münchner Haus der Kunst endete, begnügte sich mit etwas über einem Dutzend Zeichnungen.

Freilich ist das diesmal wie eine Fleißarbeit anmutende Bonner Engagement für Laib im größeren Kontext zu sehen: Völlig zu Recht gehört sein Werk zu den Säulen der Sammlung. Klaus Schrenk eröffnete mit einer ausgezeichneten Retrospektive von Wolfgang Laib 1992 den Wechselausstellungsbereich des nagelneuen Kunstmuseums. Zuvor hatten Kunstverein und Kunstmuseum den documenta-Künstler in Gruppenausstellungen präsentiert.

Nach der Laib-Retrospektive wurden wichtige Arbeiten für das Museum erworben, allen voran der damals explizit für das Bonner Haus errichtete, noch immer stark duftende begehbare "Wachsraum". Die Sparkassenstiftung und der Verein der Freunde des Kunstmuseums kauften weitere repräsentative Stücke (Wachshaus, Blütenstaubgläser), einiges schenkte Laib selber (Pyramidentreppe).

Mit diesem exzellenten Ensemble in der ständigen Sammlung sollte der Besucher beginnen, sich anschließend dann der "Essenz des Wirklichen" widmen.

Kunstmuseum, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 3. April. Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Eröffnung am Sonntag, 12 Uhr. Katalog 25 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort