Als würde am Jüngsten Tag Walzer getanzt

Rudolf Barshai dirigert in Düsseldorf für das Beethovenfest seine Bearbeitung von Mahlers Zehnter

Als würde am Jüngsten Tag Walzer getanzt
Foto: Beethovenfest

Düsseldorf. "Mahlers Liebestod" wurde die 10. Sinfonie unter Bezug auf handschriftliche Eintragungen in die Entwürfe zur Partitur genannt. Deren Hintersinn ist allerdings in einiger Hinsicht ambivalent, so dass eindeutige Zuordnungen durchaus problematisch erscheinen. Mahler, der ja in vieler Weise von Unfertigem fasziniert war, hat der Nachwelt ein Fragment hinterlassen, welches diese wiederum anziehend findet. Obgleich die gängige Einschätzung dahin geht, dass alle Versuche, die vier nur im Entwurf vorhandenen Sätze in eine spielbare Form zu bringen, im kompositorischen Niveau hinter der vom Komponisten weitgehend fertiggestellten Partitur des ersten Satzes zurückbleiben, gibt es immer wieder Versuche der "Vollendung".

Die jüngste Bearbeitung legte Rudolf Barschai vor. In einem Konzert des Bonner Beethovenfestes in der Düsseldorfer Tonhalle brachte er sie mit der Jungen Deutschen Philharmonie zur Aufführung. Während die relativ verbreitete Fassung von Deryck Cooke sich der sparsamen Instrumentierung des späten Mahler annähert, sich daher eher asketisch ausnimmt, erweitert Barschai den Orchesterapparat um verschiedene Blechbläser und Schlaginstrumente, von denen Mahler selbst einige nie verwendet hat, und lässt so einen üppigen, opulenten Klangkörper entstehen.

Bei der Düsseldorfer Aufführung ließ sich Barschai aber keinesfalls dazu hinreißen, ein Fest für die Sinne zu veranstalten. Dafür stand ihm mit der Jungen Deutschen Philharmonie ein Orchester zur Verfügung, das sich ebenso zum spontanen Zugriff, wie zu intellektueller Reflexion fähig zeigte. Der einstimmige Beginn wirkte spröde, sehr sensibel, immer ein wenig von innen her vibrierend, und auch der erste Einsatz der Harmoniestimmen geriet eher vorsichtig, ehe man allmählich, wenn auch nur vorübergehend, in lustvollere Bezirke vordrang. Tänzerische Strukturen wurden zerrissen, hinter einem Schleier verborgen, nur selten drang wie ein goldener Lichtstrahl das Signal einer utopischen Gegenwelt.

Verschiedentlich verdichtete sich das Geschehen zu einem Inferno der Blechbläser, als würde am Jüngsten Tag Walzer getanzt, dem standen entmaterialisierte Phasen gegenüber, Gerippe in fahlem Licht. Zarte Gewebe und Höllenlärm wechselten sich ab. Die Stadtpfeifermusik des Purgatorio beschränkte sich auf Andeutungen, wie mit wenigen Pinselstrichen gemalt. Anders als in den meisten Mahler-Sinfonien wurde im Finalsatz jegliche Versöhnung negiert, Stimmen, die sich feindlich gegenüberstehen, lagen blank. Fluchtversuche waren zu vernehmen, im martialischen Rhythmus oder einer künstlichen Einfachheit. Danach gibt es keine Hoffnung mehr. Rauschender Beifall.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort