Muskelspiele und die Angst vor dem Alltag

Mit der Schau "Re-thinking - Neue Kunst aus Israel" beendet die Bonner ifa-Galerie ihre ambitionierte Reihe "Focus Nahost"

Bonn. "No art without politics." Die Politik spiele immer mit in der zeitgenössischen Kunst Israels, meint Yael Katz Ben Shalom. Als Kuratorin der Ausstellung "Re-thinking" in der Bonner ifa-Galerie belegt sie diese Aussage mit sechs ausgewählten Positionen israelischer Fotografie und Videokunst. Jede dreht sich auf die eigene Weise um Fragen der nationalen Identität und des multikulturellen Miteinanders.

Erwartungsgemäß beschäftigt die Künstler besonders der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern, den sie von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Gelegenheit für reißerische Effekte böte das Thema genug, doch auf rohe Gewalt und plakativen Protest verzichten die Fotos. Prägend erscheinen vielmehr Selbstkritik, Zurückhaltung und Nachdenklichkeit. Zum Beispiel bei Hally Pancers Bild-Serie "Golan-Höhen", die in klassischem Schwarzweiß vor allem auf die kriegerische Geschichte abhebt. Ihr Foto einer weiten Ebene mit Bergen am Horizont wirkt fast romantisch - wäre da nicht die militärische Wellblech-Befestigung im Vordergrund.

Auch Guy Raz'' Fotos lassen die Zeugen des Unfriedens in der Landschaft für sich sprechen. Der Künstler geht mit seiner Kamera auf Tunnel zu. Die unterirdischen Straßen dienen zum Schutz, sie sollen jüdische Siedler sicher durch arabische Gebiete leiten, verhindern aber den Dialog. Neben den eher dokumentarischen Positionen steht betonte Künstlichkeit bei Adi Nes, der sich in oft ironischen Inszenierungen mit Situation und Selbstverständnis von Soldaten beschäftigt. Während der Macho seine Muskeln spielen lässt, bricht ein sensibler junger Soldat mit Stoppelfrisur und melancholischem Blick das vom Militär mystifizierte Image des furchtlos-entschlossenen Helden.

Frei von dokumentarischen Absichten sind auch Judith Guettas am Computer bearbeitete und vervielfältigte Bilder von Männern und Frauen. Gereiht, verdreht, geflochten und zigfach kopiert, wird der Kahlkopf im schwarzen Hemd zu einem Blumen-Ornament, wie man es aus Teppichen kennt. Zu friedlicheren Zeiten hatte die ifa-Galerie in ihrer Reihe "Focus Nahost" eine Ausstellung geplant, die Arbeiten palästinensischer und israelischer Zeitgenossen vereinen sollte. Doch angesichts der Zuspitzung des Konfliktes entschied man sich gegen solche Versöhnlichkeiten und für getrennte Auftritte.

Eines fällt auf: Nur ein Künstler löst sich von der den aktuellen Fragestellungen und sucht ausdrückliche Bezüge zum Gastgeber Deutschland. Es ist Joel Kantor - mit 53 Jahren der älteste unter den Sechsen. Seine Videoarbeit "Schuster" bildet gewiss einen Höhepunkt der Schau. Mit versteckter Kamera fängt Kantor hier einige Minuten im Alltag von Yosef Waxman ein, kurz vor Feierabend, in einem winzigen Schuhflickerladen in Tel Aviv. Der alte Mann sitzt da, arbeitet, trinkt eine Tasse Tee - nichts Außergewöhnliches. Doch schon bald fallen die ängstlich-wachsamen Blicke des Schusters auf, seine hektischen Bewegungen, die Sorgfalt, mit der er seine Thermoskanne in Tücher wickelt und verbirgt. "Ganz typisch", sagt Yael Katz Ben Shalom. In Israel kenne man diese Verhaltensweisen, so benähmen sich Menschen, die im Konzentrationslager waren. "Man kann wohl davon ausgehen", so der Begleittext an der Wand, "dass diese Eigenschaften Waxmans Überleben in Auschwitz-Birkenau gesichert haben."

Ifa-Galerie, Willy-Brandt-Allee 9, Di-Fr. 12-18 Uhr, Sa, So 12-17 Uhr. Katalog 16 Mark

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