Rheinische Redensarten Behölp is unger de ärm Lück

Rheinland · Ressortchef fürs Regionale Jörg Manhold präsentiert in dieser Reihe schöne und bedeutungstiefe rheinische Redensarten. In dieser Woche geht es darum, warum sich „arme Leute zu helfen wissen“.

 Arme Leute wissen sich zu helfen.

Arme Leute wissen sich zu helfen.

Foto: GA-Grafik

Manches Element der rheinischen Muttersprache ist ein Relikt aus früheren Zeiten. Und so kann, wer denn entsprechend kundig ist, daraus Hinweise auf die Geschichte erkennen. Ja, manch ein Sprachwissenschaftler vermag in der Sprache zu lesen, wie ein Archäologe in den Bodenschichten. Das ist ein wichtiger Anreiz, sich mit dem Dialekt zu beschäftigen. Ganz so tief müssen wir ja nicht graben, aber wir können mit folgender rheinischen Redensart die Verbindung zwischen gestern und heute tatsächlich herstellen. Sie lautet: „Behölp is unger de ärm Lück.“ Übersetzt ins Hochdeutsche wäre das etwa: Sich behelfen zu können, ist eine besonders unter den armen Leuten verbreitete Fertigkeit. Oder kurz: Arme Leute wissen sich zu helfen. Warum ist das so? Und warum ist diese Wendung kaum noch zu hören? Heutzutage leben wir in einer Konsumgesellschaft, andere sagen: Wegwerfgesellschaft. „Kaputt — neu!“, lautet das Motto. Und es geht vieles kaputt, denn die Qualität der meisten Dinge hat ebenfalls nachgelassen. Das war früher anders. Wer etwas besaß, hat es gepflegt und gut aufgehoben, weil man es sicher nochmal für etwas brauchen konnte.

Sprichwörtlich war diese Grundhaltung in der früheren DDR, dem heutigen Ostdeutschland, verbreitet. Denn dort gab es längst nicht für alles den nötigen Nachschub. Und wenn es etwas gab, dann bildeten sich schnell Warteschlangen. So waren die Ostdeutschen vielfach Meister im Improvisieren. Und sie lernten früh, mit einfachen Mitteln komplizierte Dinge zu erreichen. Sie wussten sich also zu behelfen.

Es verwundert nicht, dass diese Eigenschaft vor allem unter Leuten verbreitet ist, die nicht den Zugang zu allen Ressorcen haben. Das hat für sie das positive Ergebnis, dass sie viel können und weniger auf äußere Faktoren angewiesen sind: Nicht wer viel hat ist reich, sondern wer wenig braucht. Wir erleben aktuell mit der Corona-Pandemie eine Situation, die wir schon ad acta gelegt hatten. Plötzlich herrscht Mangel an ganz Alltäglichem. Und so erlebt unsere Redensart eine ganz überraschende Renaissance.

Der GA hat die Kolumnen unter dem Titel „Rheinisch für Fortgeschrittene“ veröffentlicht. Hören Sie auch unseren Podcast „So geht Rheinisch“, abrufbar auf allen Medienplattformen und unter www.ga.de/podcast. Haben Sie auch eine rheinische Lieblingsredensart? Dann schreiben Sie uns unter rheinisch@ga.de

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