Rheinische Redensarten Wo nüß öss, do wonnt keene

Rheinland · Wir stellen bedeutungstiefe und schöne rheinische Redewendungen vor.

 Wo nichts ist, da wohnt niemand.

Wo nichts ist, da wohnt niemand.

Foto: GA-Grafik

Familie ist was Schönes! Könnte man meinen. Wer eine große Familie hat, meinetwegen Mann, Frau und gleich ein paar Kinderchen, vielleicht auch noch mit Oma und Opa im Haus, der hat das Glück, dass er selten einsam und allein ist. Und auch Langeweile kommt fast nie auf. Im Zweifel hat man immer was zu tun.

Aber natürlich hat eine solche Konstellation auch ihre Schattenseiten. Es ist schwer, mal allein zu sein und Ruhe zu finden, und irgendwie liegen immer auch Konflikte in der Luft. Denn die Menschen sind verschieden und oft verschiedener Ansicht.

Es gibt Menschen, die die Situation andauernder Unstimmigkeiten schlecht ertragen und die dann aus dieser Situation fliehen müssen oder wollen. Stichwort: Trennung.

An dieser Stelle kommt uns ein Mundartsprecher zur Hilfe, der die rheinische Redensart kennt: „Wo nüß öss, do wonnt keene“. Das klingt aufs erste Hinhören einigermaßen ominös. Oder sollte man sagen Tautologisch. Die Übersetzung ins Imi-Deutsch lautet: Wo nichts ist, da wohnt niemand. Da scheint in der wörtlichen Bedeutung eine überflüssige Verdopplung ein und desselben Sachverhaltes. Natürlich wohnt niemand dort, wo nichts ist.

Die übergeordnete Bedeutung ist allerdings eine andere. Und da lautet die Erklärung: Dort, wo nicht auch mal Zank, Streit und Unstimmigkeit herrscht, da ist kein echtes Leben. Zum Leben gehört das einfach mal dazu. In ähnlicher Richtung geht ja auch das Adjektiv „lebendig“. Ein lebendiges Familienleben beinhaltet auch Reibereien und Nickeligkeiten. Und wer diese Kernaussage für sich akzeptiert, ja die Lebendigkeit geradezu von seinem Familienleben erwartet, der wird davor auch nicht zurückschrecken.

Es handelt sich also um einen Tipp der Kategorie Lebensberatung. Man darf den Eindruck haben, dass die Menschen die Botschaft in den vergangenen Jahren verstanden haben, denn der Blick auf die aktuellen Statistik besagt: Seit anderthalb Jahrzehnten ist die Scheidungsrate rückläufig. Diese Zahl ist ein prozentualer Saldo aus in einem bestimmten Jahr geschlossenen und geschiedenen Ehen.

Dieser Wert liegt aktuell bei etwa 40 Prozent. Bis 2003 war sie in Deutschland in starkem Anstieg begriffen und fand ihren Höhepunkt bei etwa 57 Prozent. Irgendwas muss seither passiert sein. Entweder haben Gleichmut, Geduld und Gelassenheit Einzug gehalten, oder die Wirtschafts- und Finanzkrisen haben dazu geführt, dass man sich mehr zusammenrauft. Apropos Durchschnitt: Ehen halten laut aktuellen Daten im Mittel 9,5 Jahre. Wie auch immer eine Partnerschaft ausgeht, wichtig ist es, Konflikte in menschlichen Bahnen zu halten. Und dazu gehört auf jeden Fall der Wettbewerb und der Wettstreit um die richtige Entscheidung. Da muss man sich auch schon mal reiben dürfen. Denn wo nichts ist, da wohnt auch niemand.

Der General-Anzeiger und die Edition Lempertz haben die Kolumnen als Buch „Rheinisch für Fortgeschrittene“ veröffentlicht. Hören Sie auch unseren Podcast „So geht Rheinisch“, abrufbar auf allen Medienplattformen und unter www.ga.de/podcast. Haben Sie auch eine rheinische Lieblingsredensart? Dann schreiben Sie uns unter rheinisch@ga.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort