Nadeln im Kopf helfen gegen den Schmerz

"Yamamoto-Schädelakupunktur" hilft Schmerzpatienten: Studie zweier Ärzte aus der Region ergab überraschende Erfolge - Ultraschall zeigt, dass viele Patienten sich flüssiger bewegten

Nadeln im Kopf helfen gegen den Schmerz
Foto: Franz Fischer/Montage

Bonn. Akupunktur ist schon lange nicht mehr nur das Metier weltfremder Esoteriker. Auch Schulmediziner haben erkannt, dass die fernöstliche Heilmethode mitunter verblüffende Erfolge zeitigt - wenn auch noch lange nicht klar ist, wie und warum eigentlich.

Jetzt haben der Allgemeinmediziner Thomas Schockert aus Nideggen und der Bonner Biophysiker Günter Schumpe 103 Patienten mit chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates für eine Studie zur neuen "Yamamoto-Schädelakupunktur" (YNSA) untersucht - sie kamen aus allen Altersgruppen und hatten sich unter anderem auf Inserate im "General-Anzeiger" gemeldet.

Die beiden Mediziner kommen zu dem Ergebnis: Das Verfahren kann Menschen mit chronischen Schmerzen gegen ihr Leiden helfen.

Schockert lernte die Schädelakupunktur in Japan direkt von ihrem Erfinder Toshikatsu Yamamoto - der ist auch Doktor der westlichen Medizin. Sein Verfahren hilft angeblich nicht nur bei chronischen Schmerzzuständen, sondern könne auch Lähmungen und Sprachstörungen nach Schlaganfällen verbessern und das Wachstum von Pflanzen stärken.

Um die Wirkung der Therapie an den Patienten zu untersuchen, half das "Echtzeit-Topometer" von Günter Schumpe, außerplanmäßiger Professor am Institut für Biomechanik und Biophysik der Uni Bonn. Der promovierte Physiker und Diplom-Ingenieur arbeitet seit 1974 auf dem Venusberg und untersucht dort, wie die Bewegung des Menschen physikalisch abläuft. Als größten Vorteil seines Apparates sieht er, "dass eine vom Menschen unabhängige Beurteilung des Versuches möglich ist".

Schockert behandelte die Patienten mit Akupunkturnadeln. Jeweils vorher und nachher ließ Schumpe sie die Bewegungen machen, die ihnen Schmerzen bereiteten, und zeichnete sie mit dem Topometer auf.

Nach der Akupunktur analysierte er, ob die Bewegungsmuster sich verändert hatten: Bewegte der Patient sich schneller und fließender, war anzunehmen, dass der bewegungshindernde Schmerz sich verringert hatte. Auch der Patient musste vor und nach der Behandlung angeben, wie stark der Schmerz war, den er verspürte. Um dieses subjektive Schmerzempfinden zu messen, griffen die Forscher zur "visuellen Schmerz-Analog-Skala". Auf ihr verschiebt der Schmerzpatient einen zehn Zentimeter langen roten Balken auf weißem Hintergrund. Auf der Rückseite des Balkens befindet sich ein Lineal, das die Länge des "Schmerzbalkens" zeigt. Zehn Zentimeter weiß (Zahlenwert null) heißt "völlig schmerzfrei", zehn Zentimeter rot (Zahlenwert 99) heißt "absolut unerträglich".

Das Echtzeit-Topometer ist ein großes Metallgestell mit kleinen Öffnungen an den Ecken: Empfängern für feine Ultraschall-Schwingungen von 40 000 Hertz. Sie kommen aus kleinen Knöpfen mit Kabeln, die Schumpe mit Klettstreifen am Körper des Patienten befestigt.

Bis zu 20 können gleichzeitig angeschlossen sein, meistens werden aber nur vier bis fünf gebraucht. "Wir machen nichts anderes, als was Fledermäuse machen", sagt Schumpe.

Wie die flinken Nachtflatterer während des Fluges Schallwellen ins Dunkle piepsen, mit den großen Ohren ihr Echo auffangen und blitzschnell berechnen, wie weit weg sich das Beute-Insekt befindet, genauso misst das Topometer die Bewegung der Körper-Punkte im Raum. Ein Computer speichert die Daten, berechnet dazu Geschwindigkeit, Winkel und Beschleunigung - letztere ist wichtig, weil sie verrät, welche Kraft auf die Gelenke wirkt - und stellt die Bewegung der Punkte auf dem Bildschirm dar.

Schockert bittet eine Patientin der Studie ins Behandlungszimmer, eine 60 Jahre alte Bonnerin. Seit 1982 leidet sie an quälenden Rückenschmerzen - wie sie berichtet, als Folge diverser Operationen - und will sich wegen der guten Wirkung auch weiter akupunktieren lassen.

Schockert reicht ihr die Schmerz-Skala, sie verschiebt sie bis zur 76. Dann untersucht der Mediziner sie nach der Yamamoto-Methode: Durch sanften Druck am Hals kann der Therapeut erkennen, wo am Kopf Nadeln gesetzt werden müssen.

Bald stecken der Bonnerin zehn in den Schläfen: drei in der rechten, sieben in der linken - wie Schockert erläutert, "tangential zum Schädelknochen, etwa einen halben bis einen Zentimeter tief". Die Wirkung kommt binnen Minuten: Beim zweiten Griff zur Schmerz-Skala stellt die 60-Jährige "41" ein.

Solche Ergebnisse waren in Schumpes und Schockerts Untersuchung keine Ausnahme. Bei 97 der 103 Test-Patienten ergab sich mit der Akupunktur-Behandlung eine Verbesserung der Beschwerden: totale Schmerzfreiheit bei 50, zumindest eine Teil-Linderung bei 45. "Damit erinnert die YNSA in der Therapie bewegungsabhängiger Schmerzen an die Effizienz einer intravenösen Injektion oder intramuskulären Schmerzmittelapplikation", folgern die Mediziner.

Auf der subjektiven Schmerzskala besserte sich der Wert um durchschnittlich 44. "Bei einem Patienten dauerte die Schmerzfreiheit 382 Tage", erzählt Schumpe. "Danach hat er sich nicht mehr gemeldet."

Das gilt wohlgemerkt nur für Schmerzen des Bewegungsapparates, also der Gelenke oder der Wirbelsäule: Bei Kopf- oder Muskelschmerzen ist die YNSA nicht geeignet. Auch Fragen bleiben: So stellte Schumpe fest, dass bei manchen Patienten zwar der Schmerz nachließ - sie sich aber immer noch bewegten, als ob sie welchen hätten.

www.ynsa.net

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