Manfred Weber zur EU-Ratspräsidentschaft „Wir müssen unsere Werte besser verteidigen“

Interview | Berlin · Kurz vor der Übernahme der deutschen EU-Ratspräsidentschaft an diesem Mittwoch formuliert Manfred Weber, der bayerische CSU-Mann in Brüssel, seine Erwartungen an Kanzlerin Angela Merkel: Europas Selbstbewusstsein stärken, China Paroli bieten, die Freiheit verteidigen von Berlin bis Hongkong.

 Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), sagt, die deutsche Ratspräsidentschaft könne viele Chancen eröffnen.

Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), sagt, die deutsche Ratspräsidentschaft könne viele Chancen eröffnen.

Foto: picture alliance/dpa/Fred Marvaux

Herr Weber, die deutsche Ratspräsidentschaft steht vor einer Herkules-Aufgabe: Corona-Folgen bekämpfen, Haushalt für die kommenden Jahre aufstellen, Migrationspolitik ordnen, Brexit vollziehen, Klima schützen, Digitalisierung vorantreiben, das Verhältnis zu China klären. Muss man da bei den Erwartungen nicht abspecken?

Manfred Weber: Ja, die Erwartungshaltung an die große Koalition in Deutschland, die sehr stabil ist, ist enorm. Diese Ratspräsidentschaft kann viele Chancen eröffnen, wenn Deutschland jetzt beherzt anfängt. Entscheidend ist, dass wir jenseits der Sachthemen eine große Überschrift finden. Allerdings würde ich mir wünschen, dass auch in Berlin verstanden wird, dass die deutsche Ratspräsidentschaft eine historische Dimension hat, dass es um mehr als nur Technik, Gesetze, Geld geht. Es geht darum, für die 2020er Jahre einen Weg zu beschreiben, der dieses Europa zusammen und erfolgreich halten kann. Dafür braucht es Mut, Kraft und Vision.

Welche Vision?

Weber: The European way of life, die europäische Lebensform. Eine Gesellschaft mit der Freiheit als wichtigstem Instrument, der Freiheit der Journalisten, der Meinung, der Religion, mit Rechtstaat und sozialer Marktwirtschaft. Unsere Werte sind massiv unter Druck geraten. Meine große Sorge ist, dass China der große Gewinner der Corona-Krise sein könnte. Es wird ökonomisch schnell herauskommen aus der Krise und vielleicht als erstes Land einen Impfstoff entwickeln. Ich möchte nicht, dass China der Gewinner aus der Krise ist und sein autoritäres Staatssystem fälschlicherweise als das bessere  propagiert.

Aber die EU-Staaten haben China doch lange umgarnt, um von deren Wirtschaftswachstum zu profitieren.

Weber: China ist ein wichtiger Partner, keine Frage. Im Gegensatz zu Donald Trump steht Peking etwa zum Pariser Klimaschutzabkommen. Aber es gibt viel Enttäuschung. Auf den letzten EU-China-Gipfeln haben uns die Chinesen viele Zusagen gemacht und nicht gehalten. Zum Beispiel beim Investitionsschutzabkommen, das unsere Firmen so dringend brauchen. Bei den nötigen fairen Spielregeln ist China bisher nicht vertragstreu.

Muss Europa nicht mehr Selbstbewusstsein entwickeln, um einem System wie China Paroli zu bieten?

Weber: Ja, wir müssen unsere Werte besser verteidigen. Hongkong ist heute das neue Berlin. John F. Kennedy hat gesagt: Ich bin ein Berliner. Ich sage heute: Ich stehe an der Seite der Bürger in Hongkong. Wir müssen die Menschen stützen, die für Freiheit und Rechtsstaat kämpfen.

Angela Merkel sagt, Deutschland sei mit der Gewissheit aufgewachsen, dass die USA Weltmacht sein wollen und wenn sich die USA nun von dieser Rolle verabschieden wollten, müssten wir sehr grundsätzlich nachdenken. Was sagen Sie als Europäer dazu?

Weber: Wir müssen außenpolitisch schneller entscheiden. Die jetzige europäische Außenpolitik ist nicht existent. In außen- und auch sicherheitspolitischen Fragen ist Europa nicht fit für die Aufgaben, die vor uns stehen. Damit schwächen wir auch unsere Werte. In Libyen unterstützt Italien die eine Seite, Frankreich die andere. Wir müssen weg von der Einstimmigkeit, hin zur Mehrheitsentscheidung. Und wir brauchen jetzt den Durchbruch zum europäischen Verteidigungspfeiler. Keiner will die Armeen zusammenlegen, Landesverteidigung bleibt in nationaler Hand. Aber zur Abwehr von Cyberangriffen, beim Schutz der Atomkraftwerke brauchen wir europäische Strukturen.

Was bedeutete eine zweite Amtsperiode von Donald Trump für das transatlantische Verhältnis?

Weber: Wie er mit den Europäern umgeht, hat zu Entfremdung geführt und Gräben aufgerissen. Amerika ist aber nicht Donald Trump. Bei einem neuen Präsidenten wird vermutlich der Ton wieder angenehmer. Die Partnerschaft zu den USA ist existenziell. Aber ich glaube, dass die USA grundsätzlich nicht mehr diese Rolle der Weltmacht sein wollen.

Die Kanzlerin geht im Schulterschluss mit Frankreichs Präsidenten Macron voran, ihr Treffen in Meseberg kurz vor dem Start ist ein deutliches Signal dafür. Ist die Achse Berlin-Paris immer noch Europas Stütze?

Weber: Die starke deutsch-französische Partnerschaft wie jetzt wieder in der Corona-Krise ist ein starkes Zukunftssignal. Für die fundamentalen Weichenstellungen brauchen wir die Achse Berlin-Paris.

Ist die Entscheidung von Merkel und Macron zur EU-Politik der Zuschüsse historisch?

Weber: Keine Frage, der Schritt ist historisch. Erstmals geht Europa den Weg gemeinsamer Schulden und trägt die Wirtschaftskrise solidarisch. Es wird aber kein dauerhafter Mechanismus daraus abgeleitet. Das Programm ist bis 2024 befristet.

Braucht das EU-Parlament mehr Mitsprache bei der Verteilung der Corona-Hilfen oder sollte die Verantwortung doch bei der EU-Kommission bleiben, die das nur mit Regierungen regeln will?

Weber: Wir haben der Kommission klargemacht, dass sie die rote Linie nicht überschreiten darf und das Parlament demokratisch eingebunden sein muss. Nun haben wir das Haushaltsrecht und die Richtlinien, wie die enorme Summe von 750 Milliarden Euro verteilt wird. Und auch die Haushaltskontrolle. Wir schauen, ob das Geld ordentlich verwandt wird.

Wie?

Weber: Die große Frage bei der Gesetzgebung ist jetzt die Konditionalität für die Vergabe der Gelder. Wir werden sie nur freigeben, wenn die Mitgliedstaaten im Inneren reformbereit sind und das Geld für Zukunftsinvestitionen ausgeben. Das ist das klare Kriterium. Wir wollen den Steuerzahlern versichern, dass Länder nur Geld bekommen, wenn sie eine unabhängige Justiz und unabhängige Medien haben, die durch eine öffentliche, kritische Debatte hinschaut und kontrollieren, was mit den Hilfsmitteln passiert.

CSU-Chef Markus Söder hat in der Corona-Krise an Reputation gewonnen. Ist es ausgeschlossen, dass er Kanzlerkandidat wird?

Weber: CSU- und CDU-Parteichefs sind grundsätzlich geeignet für höhere Aufgaben. Wir haben jetzt aber die Absprache, dass über die Kanzlerkandidatur später entschieden wird.

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