Hadsch in Corona-Zeiten Pilgerfahrt nach Mekka 2020 stark eingeschränkt

Istanbul · Mehr als zwei Millionen Gäste pilgern jedes Jahr nach Mekka. 2020 gibt es wegen der Corona-Krise allerdings massive Einschränkungen. Saudi-Arabien verliert Prestige – und mitten in der Ölpreis-Flaute auch Milliardeneinnahmen.

 Solche Bilder von Pilgern an der Kaaba in Mekka wie aus dem August 2017 wird es dieses Jahr nicht geben.

Solche Bilder von Pilgern an der Kaaba in Mekka wie aus dem August 2017 wird es dieses Jahr nicht geben.

Saudi-Arabien begrüßt jedes Jahr mehr als zwei Millionen Gäste aus aller Welt zur Pilgerfahrt nach Mekka – doch diesmal fällt der Hadsch aus. Um eine Verbreitung des Coronavirus bei der Massenveranstaltung Ende Juli zu verhindern, verbot das Königreich jetzt ausländischen Pilgern die Einreise. Nur rund 1000 saudische Staatsbürger und im Land lebende Ausländer sollen nach Mekka pilgern dürfen.

Die erste Absage des Hadsch seit Gründung Saudi-Arabiens im Jahr 1932 ist ein schwerer Schlag für das Land: Als „Hüter der zwei heiligen Moscheen“ in Mekka und Medina beansprucht der saudische König eine herausgehobene Position in der islamischen Welt. Nicht nur das saudische Prestige leidet. Dem Land entgehen Milliardensummen – Geld, das die Staatskasse wegen der Ölpreis-Flaute gut gebrauchen könnte.

Nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr hatte Saudi-Arabien bereits Zehntausende Ausländer nach Hause geschickt, die zur Umrah – der sogenannten kleinen Pilgerfahrt außerhalb der Hadsch-Saison – ins Land gekommen waren. Kurz da-
rauf deutete Riad an, dass der Hadsch möglicherweise ausfallen werde. Nun erklärte das Pilger-Ministerium in Riad, lediglich etwa 1000 Pilger würden in diesem Jahr zugelassen. Aus dem Ausland anreisende Wallfahrer wird es nicht geben.

Manchen Staaten war das Risiko von Reisen nach Saudi-Arabien auch ohne offizielle Absage des Hadsch zu groß. Als bevölkerungsreichstes muslimisches Land verbot Indonesien seinen Bürgern schon vor Wochen, nach Mekka zu reisen. Malaysia, Senegal und Singapur schlossen sich an.

Saudi-Arabien kämpft mit dem schlimmsten Corona-Ausbruch auf der arabischen Halbinsel: mehr als 160 000 Infektionen und 1300 Tote bei 34 Millionen Einwohnern. Die Zahl der Ansteckungen hat sich seit Ende Mai verdoppelt. Zeitweise war die Große Moschee von Mekka, das Zentrum des islamischen Glaubens, für Besucher gesperrt. Seit den Zeiten des Propheten Mohammed vor 1400 Jahren hatten Pest, Cholera und Kriege den Hadsch mehrmals ausfallen lassen, doch seit dem 19. Jahrhundert gab es keine Unterbrechungen mehr.

Die Pilgerfahrt gehört zu den Grundpflichten der Muslime – jeder Gläubige soll einmal in seinem Leben daran teilnehmen. Deshalb ist die Streichung des Hadsch eine Enttäuschung für viele Gläubige. Allein in Pakistan hatten sich 180 000 Menschen für die Pilgerfahrt angemeldet, in der Türkei waren es mehr als 80 000. Im kommenden Jahr dürfte es verstärkten Andrang auf die jeweiligen nationalen Pilger-Kontingente geben, mit denen die Zahl der Besucher unter Kontrolle gehalten werden soll.

Das saudische Königshaus bemüht sich, den Prestigeverlust zu begrenzen, indem es sich die Absage von Islamgelehrten absegnen lässt. Die angesehene islamische Wissenschaftsinstitution Al-Azhar in Ägypten lobte die Entscheidung der Saudis. Riad will vermeiden, dass der saudische Führungsanspruch infrage gestellt wird. In der Vergangenheit hatte der Rivale Iran die Hoheit der Saudis über Mekka und Medina angezweifelt.

Auch die saudische Wirtschaft leidet. Die Pilgerreise ist ein Devisenbringer, der in normalen Jahren rund zwölf Milliarden Dollar in die Staatskasse spült. Neben den zuletzt 2,5 Millionen Hadsch-Teilnehmern kamen im vergangenen Jahr noch 7,2 Millionen Menschen zur kleinen Pilgerfahrt Umrah ins Land. Kronprinz Mohammed bin Salman, der starke Mann in Riad, will die Zahl der Pilger in den kommenden Jahren stark ausbauen. Allein die Umrah soll in Zukunft bis zu 30 Millionen Besucher ins Land holen.

Die Pläne sind Teil der Strategie des 34-jährigen Thronfolgers, Saudi-Arabien unabhängiger vom Öl zu machen. Deshalb ist die Hadsch-Absage ein Rückschlag für den ehrgeizigen Kronprinzen, der schon mit Einnahmeverlusten wegen der gesunkenen Ölpreise zurechtkommen muss. Die Ratingagentur Fitch schätzt, dass das saudische Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf bis zu 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) klettern könnte – das wären 100 Milliarden Dollar; im vergangenen Jahr betrug die Haushaltslücke noch 4,5 Prozent des BIP.

Saudi-Arabien muss Abschied nehmen von der Zeit, als Geld keine Rolle spielte. Mohammed bin Salman, der den Saudis eigentlich mehr Wohlstand versprochen hatte, bittet die Bürger zur Kasse. Er führte 2018 zum ersten Mal eine Mehrwertsteuer ein; kommende Woche tritt eine Erhöhung der Steuer von fünf auf 15 Prozent in Kraft. Unterstützungszahlungen an Staatsbedienstete wurden gestutzt, der saudische Gesellschaftsvertrag, nach dem die Bürger auf politische Teilhabe verzichten und dafür vom Staat finanziell versorgt werden, gerät ins Wanken. Dass nun auch noch die Einnahmen durch den Hadsch ausbleiben, vergrößert das Dilemma.

Der Geldmangel in Riad könnte Auswirkungen auf die ganze Region haben, denn bisher unterstützt Saudi-Arabien verbündete Regime wie das in Ägypten mit Milliardensummen. Schon jetzt steht der Kronprinz außenpolitisch unter Druck. Der von ihm angezettelte Krieg im Jemen bringt Saudi-Arabien nicht nur internationale Kritik ein – er ist auch eine Gefahr für das saudische Staatsgebiet: In der Nacht zum Dienstag schossen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen mehrere Raketen auf saudische Städte ab, auch auf die Hauptstadt Riad.

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