Journalisten der Deutschen Welle blicken auf ihre Heimat „Der Krieg ist zur Routine geworden“

BONN · Drei Journalisten der Deutschen Welle blicken auf ihre Heimat und die Berichterstattung der europäischen Medien.

 Einen Tag vor dem Millenium kam Abbas Al-Khashali in München an.

Einen Tag vor dem Millenium kam Abbas Al-Khashali in München an.

Foto: Barbara Frommann

Reza Shirmohammadi hat die Schönheiten seines Landes in Fotos eingefangen. Ein Mann, der eine Melone isst. Ein Sonnenuntergang. Die Bilder des Journalisten und Fotografen sind in Deutschland demnächst in einer Ausstellung zu sehen.

Er hat sie in Afghanistan aufgenommen. Die Worte Schönheit und Afghanistan bringen in Deutschland die wenigsten in einen Zusammenhang. Das Land steht seit Jahren für Krieg, Zerstörung, Selbstmordattentate und politisches Chaos.

Shirmohammadi sitzt mit seinen Journalistenkollegen Abbas Al-Khashali aus dem Irak und Falah Elias aus Syrien in einem Seminarraum der Deutschen Welle in Bonn und erzählt seine Geschichte. Der Blick der drei Männer auf die politischen und sozialen Zusammenhänge in ihrer jeweiligen Heimat weist trotz der unterschiedlichen Herkunft Parallelen auf.

Sie kommen aus drei verschiedenen Ländern. Aber sie analysieren die westliche Perspektive auf den Nahen und Mittleren Osten und kommen zum ähnlichen Ergebnis, dass der Blick ins Innerste ihrer Heimat nicht immer präzise genug ist.

Reza Shirmohammadi findet, dass europäische Medien zu oft die rein politische Sicht einnehmen. Sie berichteten „zurzeit sehr positiv, weil der Abzug vorbereitet wird“. Den Deutschen sei daran gelegen, keine verbrannte Erde zu hinterlassen.

Die Massenmorde, die afghanische Bewaffnung müssten nach seiner Meinung mehr Raum in Artikeln, Radio- und Fernsehbeiträgen einnehmen. Und was den 32-Jährigen mit der gebotenen Zurückhaltung des Berichterstatters aufregt, ist, dass weltweit der Eindruck vermittelt werde, es handele sich um einen Bürgerkrieg. „Dabei hat uns niemand gefragt.“ 100 000 seiner Landsleute flüchteten 2015 monatlich aus ihrer Heimat. „Der Krieg“, sagt der Journalist, „ist zur Routine geworden.“

Abbas Al-Khashali sagt, der deutsche Fokus liege fast ausschließlich auf dem Nordirak und den IS-Kämpfern. „Dabei gibt es andere, viel drängendere Probleme: Die Korruption ist das größte Übel.“ Die irakischen Ministerien hätten um wirtschaftliche Hilfen gebeten, bislang mit wenig Erfolg.

Zum anderen werde der immense Einfluss aus dem Iran wenig beleuchtet und auch die politischen Banden mit der Türkei und Kuwait. Ständig tauchten deutsche Waffen in den kriegerischen Auseinandersetzungen auf, aber eine ausführliche Debatte setze das in Deutschland nicht in Gang.

In Syrien hatte Falah Elias die Wahl, als Jurist Karriere zu machen und den Mund zu halten oder in Freiheit zu leben. Er entschied sich für letzteres, kam als Student nach Deutschland und blieb. Heute ist er verheiratet und hat zwei Kinder, seine Schwester und seinen Bruder hat er mittlerweile aus Syrien nach Deutschland geholt.

„Ich fühle mich trotzdem schuldig, weil ich viele Freunde und Verwandte zurücklassen musste.“ Er sieht sich heute als Weltbürger. Man müsse tun, was getan werden müsse. Das könne an jedem Ort dieser Erde passieren. Die Entwicklung, wie aus einer Demonstration in Syrien zu Beginn ein kriegerischer Konflikt des heutigen Ausmaßes erwachsen konnte, sei mit dem Begriff „Bürgerkrieg“ nicht treffend umrissen, findet auch er. „Wir zerstören unser Land nicht, das sind die anderen.“

Syrien habe kurz vor dem Schritt aus der Dritten Welt gestanden, „da kam Assad“. Und ihm, Falah Elias, komme es so vor, als seien bloß noch die strategischen Winkelzügel des „Herrn Assad, dem Erfinder der Fassbombe“, seiner Gegner und den westlichen Alliierten von öffentlichem Interesse.

Die Menschen würden darüber meist vergessen. „Sie müssen Hunde und Katzen essen, weil die Regierung sie von der Versorgung abschneidet.“ Nicht einfach, in dieser Gemengelage die Objektivität zu bewahren. Aber der Syrer spart sich seine eigene Meinung für die Kommentare auf.

Seit 16 Jahren lebt der Iraker Abbas Al-Khashali mittlerweile in Deutschland. Die Frage, ob er seine Heimat vermisse, beantwortet er mit einer Gegenfrage: „Heimat ist, wo ich mich wohlfühle. Wie wohl kann man sich in einem Land fühlen, das seit mehr als einem Jahrzehnt in Krieg versinkt?“

Ein paar Minuten vor einer wichtigen Universitätsprüfung fasste der heute 43 Jahre alte, studierte Physiker den Entschluss, den Irak zu verlassen. Er packte seine Sachen, verabschiedete sich von seinen Eltern und floh über Jordanien, wo er von 1,50 Dollar täglich das Geld für die weitere Reise zusammenkratzte. In Libyen schaute er aufs Meer, hatte aber kein Geld für die Überfahrt. Also zog er übers Festland.

Am 31. Dezember 1999 um 22.25 Uhr kam er am Münchner Hauptbahnhof an. Anderthalb Stunden vor dem Millenium ging er zu einem Bekannten und fiel noch vor dem großen Feuerwerk und dem bangen Erwarten der Europäer, was die Zeitumstellung mit der Welt veranstalten würde, in einen tiefen Schlaf.

Er studierte Politik, um Journalist zu werden. Verdiente sich mit einem Haufen Jobs seinen Lebensunterhalt. „Viele, die hierhin kommen, haben von der deutschen Wohlfahrt gehört, sie haben ein gutes Bild von Deutschland, weil es nicht durch seine imperialistische Geschichte vorbelastet ist.“

Deutschland zeige sich in diesen Tagen mit einem menschlichen Gesicht. Aber man müsse auch hier kämpfen, sonst werde man es nicht schaffen und scheitern.

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