Gemeinsamkeiten führten zur Spaltung der Religionen

Wissenschaftler: Diskussion um den Auszug des Christentums aus dem Judentum ist fragwürdig

Bonn. (mre) Die ersten Christen waren Juden - ob aber überhaupt von "dem" Judentum zur Zeit von Christi Geburt gesprochen werden kann, ziehen Forscher in Zweifel. Rund 60 Experten aus aller Welt diskutierten im Bonner Universitätsclub über die Vielfalt und Einheit jüdischer Gruppen in hellenistisch-römischer Zeit und ihrer Bedeutung für das Verhältnis von Christen und Juden heute.

Nicht nur in den religiösen Vorstellungen wichen demnach vor gut 2000 Jahren einzelne jüdische Gruppen voneinander ab. In ihrer Lebensweise haben sich Pharisäer und Sadduzäer, Essener und Menschen aus Qumran unterschieden. "Auch das frühe Christentum war ursprünglich nichts anderes als eine weitere ¯Spielart® des Judentums", sagt Michael Wolter, Professor für Neues Testament an der Uni Bonn. Irgendwann mündete der Differenzierungsprozess im Verhältnis von Juden und Christen in eine Trennung - und das unterscheide diese christliche Spielart des Judentums von allen anderen Gruppen, die es sonst im Judentum gibt.

Beide Religionen, das Christentum und das Judentum, beziehen sich zwar auf eine gemeinsame Bibel, sie beanspruchen denselben Gott und beide leiten sie - was sonst in der Antike nicht üblich war - die Ethik aus der religiösen Orientierung ab. Zu den Unterschieden zwischen den "Judentümern", den verschiedenen Strömungen der Anfangszeit, gehörten allerdings auch abweichende Auffassungen in Bezug auf die Bestimmung dessen, was als spezifisch jüdisches Ethos zu gelten hat, also "in welchen Handlungen die exklusive Identität des Gottesvolkes erfahren und zur Anschauung gebracht werden kann", erläutert Wolter.

Dieser Exklusivitätsanspruch verschärfte die Auseinandersetzung, "gerade eben, und das ist das Spannende, wegen der gemeinsamen Elemente", sagt Michael Mach, Professor für Jüdische Philosophie an der Universität Tel Aviv. Die ganze bisherige Diskussion über den "Auszug des Christentums aus dem Judentum" sei mittlerweile fragwürdig: Wer da wo raus sei, sei nicht mehr so klar fassbar.

Zum Wesen beider Religionen gehöre es, kulturell vielfältig ausdifferenziert zu sein. Man könne nicht von einer bestimmten Erscheinungsform sagen, das ist das eigentliche Judentum oder das eigentliche Christentum. Beide Religionen neigten zum Pluralismus. Diese "Buntheit" sei möglich, weil es ein Bewusstsein einer Einheit gibt, erläutert Mach. Juden wie Christen stehen gegenwärtig vor vergleichbaren Problemen, sie befinden sich beide in einer pluralistischen Welt. Deshalb mache es für die Forschung Sinn, sich auf die Grundlagen in der Antike zu beziehen, sagt Mach.

Infos unter www.uni-bonn.de/sfb534.

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