Nationalsozialisten an der Uni Bonn Sehr geehrter Nazi

Ruhm und Schande des früheren Bonner Professors Walther Poppelreuter: Er ließ einen jüdischen Kollegen verfolgen und dennoch war sein Name im Deutschland der Nachkriegszeit lange positiv besetzt.

 Walther Poppelreuter (mittig, auf dem Stuhl sitzend, links neben dem Uniformierten) im Kreise von Hirnverletzten am Bonner Institut für ebendiese.

Walther Poppelreuter (mittig, auf dem Stuhl sitzend, links neben dem Uniformierten) im Kreise von Hirnverletzten am Bonner Institut für ebendiese.

Foto: Archiv Uni Bonn

Zum neunzigjährigen Jubiläum der Bonner Heilstätte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der weltweit ersten ihrer Art, erinnert die heutige LVR-Klinik derzeit an den Gründer und ersten Chef, Otto Löwenstein: Jüngst wurde seine restaurierte Büste in dem nach ihm benannten Therapiezentrum neu aufgestellt (der GA berichtete am 10. Januar), in Kürze wird ihm im Haupthaus der Krankenanstalt am Kaiser-Karl- Ring eine ganze Gedenkwand gewidmet. Sie bezeugt nicht zuletzt die Vertreibung des getauften Juden in der Nazizeit.

Im März 1933, keine zwei Monate nach Hitlers „Machtergreifung“, stürmte und besetzte ein Trupp von annähernd 100 gewalttätigen Nazis, sogenannten SA-Männern, die Kinderklinik, um Löwenstein zu verhaften. Hinter der lebensbedrohlichen Jagd auf den beneideten wie verhassten Kollegen steckte der Bonner Psychologieprofessor Walther Poppelreuter. Löwenstein floh mit seiner Familie in die Schweiz, später nach Amerika. Poppelreuter wurde für ein paar Jahre Löwensteins Nachfolger (kommissarisch), bis er als Mittfünfziger alkoholkrank 1939 im Amt verstarb.

Das Schurkenstück mag soweit wie eines von vielen während der Nazi-Zeit erscheinen. Die Geschichte hat indes noch eine nicht minder fragwürdige Kehrseite, die zeigt, wie schwere Belastungen in der öffentlichen Erinnerung durch Verdienste ganz verdrängt werden (können). Der Fall Poppelreuter ist dafür leider ein besonders klares Beispiel.

Der klinische Psychologe hatte sich mit der Behandlung von Hirnverletzten in den 20er Jahren zumal bei Kriegsversehrten einen bleibenden Namen gemacht. Dann trat er als erster Bonner Hochschullehrer der Nazi-Partei NSDAP bei. Schon bevor diese an die Regierung kam, hielt Poppelreuter im Wintersemester 1931/32 sogar eine Vorlesungsreihe über Hitler als „wissenschaftlichen Psychologen“.

Und dennoch: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vielerorts in Neubaugebieten für Flüchtlinge Straßen nach Poppelreuter benannt, etwa in Köln, Mainz oder Paderborn. Der „Bund hirnverletzter Kriegs- und Arbeitsopfer“ (heute BDH Bundesverband Rehabilitation) zeichnete verdiente Medizinprofessoren und andere mit einer Poppelreuter-Medaille aus.

Das „öffentliche Vergessen des Schlimmen“ war, wie der Historiker Christian Meier sagt, zumal in den 50er Jahren, ein vorherrschender Zug der Zeit. Dafür gibt es auch an der Uni Bonn mehr als nur ein Beispiel. So wurde hier etwa der Pionier der Luftfahrtmedizin, Siegfried Ruff, auf dem Gebiet zeitweilig auch im KZ Dachau tätig, 1952 mit dem Ehrentitel „Professor“ gewürdigt.

Die überfällige Revision der Vergangenheit ließ häufig auf sich warten. So erhielt der vertriebene Psychiater Löwenstein erst zehn Jahre nach Kriegsende seine Rechte als ehemaliger Bonner Professor zurück. Zum Traditionsbruch mit seinem Verfolger Poppelreuter kam es erst Ende der 80er Jahre, als die LVR-Archivarin Linda Orth die dunkle Seite des vermeintlichen Helden öffentlich beleuchtete. Daraufhin gab die Schirmherrin der Hirngeschädigten und damalige Kanzler-Gattin, Hannelore Kohl, ihre Medaille zurück.

Seither wird die Auszeichnung nicht mehr verliehen. Gleichwohl zählt sie im offiziellen Deutschen Ärzteblatt noch in den späten 90ern ungeniert zu den großen Ehren – wie ein Bundesverdienstkreuz. Und noch 2003 schrieb der Aachener Professor Gereon Fink in der Fachzeitschrift „Der Nervenarzt“ eine rühmende Titelgeschichte über Poppelreuter.

Historische Aufklärung kann offenbar schnell verblassen und nicht jeden erreichen. Deshalb änderte sich auch an den Straßennamen hier und da noch lange nichts. Erst vor vier Jahren ersetzte die Stadt Köln nach einem kritischen Hinweis den Vornamen Walther durch Josef – und erinnert jetzt damit an einen unumstrittenen Museumsdirektor Poppelreuter.

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