Klimawandel, Kieselalgen, Kohlendioxid Die Algen und die Eisberge

BONN · Das Genom der Kieselalge enthält zahlreiche Varianten. Experten vom Bonner Museum Koenig und ihre internationalen Partner haben jetzt herausgefunden, wozu das gut ist.

 Die Kieselalge: Ihr Genom kann auf unterschiedlichste Umweltbedingungen „antworten“. FOTO: KAREN JUNGE/UNIVERSITY OF WASHINGTON

Die Kieselalge: Ihr Genom kann auf unterschiedlichste Umweltbedingungen „antworten“. FOTO: KAREN JUNGE/UNIVERSITY OF WASHINGTON

Foto: Karen Junge

Der Kieselalge Fragillariopsis cylindrus wird im Südpolarmeer einiges abverlangt. Hohe Salzkonzentrationen, stark schwankende Eisen- und Kohlendioxiddosen, extrem niedrige Temperaturen, dazu muss sie im Südhalbkugel-Winter fast ganz ohne Licht auskommen und ist zuweilen selbst Teil des Eises. Bricht die Sommerzeit an, schmilzt das Eis und werden die Winzlinge freigesetzt. Es ist der Moment, mit dem die stärkere Sonneneinstrahlung das Leben wachküsst. Am Anfang stehen dann Fragillariopsis cylindrus und andere Algen. Sie beginnen sich unter dem Einfluss des Sonnenlichts rasant zu vermehren, was die gesamte Nahrungskette im Polarsommer anwirft. Vermehrt sich die Alge, wachsen die Krill-Schwärme, die wiederum Leibspeise der Wale sind.

Dass Kieselalgen hartgesottene Gesellen sind und in extremen Milieus überleben, war bekannt – aber warum, war unbekannt. Bis gestern. Da lüftete das renommierte Fachblatt „Nature“ das Geheimnis, indem es eine internationale Studie veröffentlichte, an der auch das Bonner Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig / Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (ZFMK) seinen Anteil beisteuerte. Wesentliche Erkenntnis: Das Genom ist so strukturiert und komponiert, dass es im Bedarfsfall unterschiedliche Genbereiche aktivieren kann, um den Organismus bestmöglich an neue Bedingungen anzupassen.

Die genetische Varianz begann vor 100 000 Jahren

Genauer: „Unsere Analysen haben gezeigt, dass nahezu ein Viertel des Fragillariopsis-cylindrus-Genoms hoch divergente Allele aufweist. Dies sind Varianten der gleichen Gene, die durch Akkumulation von Mutationen stark divergieren. Die gleichen Gene hat man als einzelne Allele auch in anderen Kieselalgenarten gefunden“, sagt Christoph Mayer, Sektionsleiter Statistische Phylogenetik und Phylogenomik am ZFMK.

Igor Grigoriev, Mayers Kollege vom Fungal Genomics Program am DOE Joint Genome Institute in Walnut Creek (Kalifornien), findet es „bemerkenswert, dass sich verschiedene Allele derselben Gene auseinanderentwickelt haben, um es der Kieselalge zu erlauben, auf verschiedene Umweltveränderungen zu reagieren“. Grigoriev glaubt, dass diese Entwicklung im Genom der Kieselalge „vor rund 100 000 Jahren“ begonnen hat, was mit dem Beginn der letzten Eiszeit zusammenfällt. Dass auch andere Arten in ihrem Genom Antworten auf Umweltänderungen in Reserve halten, „wird angenommen, ist aber nicht bewiesen“, sagt Mayer.

Es dürfte kein Zufall sein, dass „Nature“ diese Studie veröffentlicht, denn die Macht der Algen könnte beim Klimawandel eine Schlüsselrolle spielen. Vereinfacht ist das atmosphärische Problemgas Kohlendioxid (CO2), das der Mensch seit über 150 Jahren verstärkt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freisetzt, ihr Lebenselixier. Weltweit bindet das Phytoplankton der Meere, darunter auch Kieselalgen, rund ein Drittel des Kohlenstoffs des Weltozeans. Sterben die Organismen, sinken sie – samt aufgenommenem Kohlenstoff – auf den Meeresgrund, wo das CO2 dem System dauerhaft entzogen wird. Aus der menschlichen Gegenwarts-Perspektive erscheinen die Winzlinge als kostenlose Müllabfuhr, die das Zuviel an CO2 in der Luft entsorgt.

So lassen sich beispielsweise Algenblüten als große CO2-Entsorgungsevents betrachten, die die Erderwärmung bremsen. „Die steigenden Temperaturen werden zu einer Zunahme der Algen in den kalten Gewässern der Antarktis führen. Diese Aussage ist weitgehend gesichert und unumstritten“, sagt Mayer. Aber was das für die globale Erwärmung bedeutet, ist noch völlig unklar.

Beispiel Eisberge: Schaukeln sie, einmal von der festen Eismasse am Südpol angebrochen, über das Südpolarmeer, ähneln sie riesigen Düngertransportern, weil sie viele wertvolle Spurenelemente wie Eisen enthalten. Zahlreiche Satellitenaufnahmen haben das bestätigt und fanden stets gewaltige Algenblüten auf der Reiseroute hinter einem schmelzenden Eisberg. Das inspirierte Forscher 2004 und 2009 zu Eisendüngungsexperimenten. Deren Ergebnisse entsprachen jedoch nicht eindeutig der Erwartung, dass solche Eingriffe zwangsläufig den Klimawandel abschwächen. Offenkundig spielt der Düngungsort eine Rolle: Wird das tonnenweise verstreute Eisensulfat großräumig verteilt oder rotiert es konzentriert in einem Wirbel? Welche Organismen-Gemeinschaften leben am jeweiligen Freiluftlabor? Noch steckt dieses Forschungsfeld, wie überhaupt das gesamte Geo-Engineering (also menschliche Eingriffe planetarer Dimension gegen die globale Erwärmung) in den Kinderschuhen.

Ungewisse und gegenteilige Wechselwirkungen

Darüber hinaus sind die zahlreichen Wechselwirkungen noch nicht exakt erfasst. Wenn Eis schmilzt, bleiben dunkle Ozeanflächen zurück: Sie heizen den Klimawandel weiter an, da sie mehr Sonnen- in Wärmestrahlen verwandeln. Andererseits bilden Algenblüten helle Oberflächen, was wiederum kühlend wirkt.

Einstweilen zeigt die Studie „nur“, dass zumindest die Kieselalgen in ihrem Erbgut so viele Varianten tragen, dass sie sich an unterschiedlichste Umwelten anpassen können. Es ist unwahrscheinlich, dass die Natur an anderer Stelle im Artenspektum grundsätzlich andere Überlebensmechanismen entwickelt hat. Insofern ermuntert diese Studie weltweit zu weiteren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Hilfe für Start-ups aus der Hochschule
Wenn Forschende und Studierende zu Gründern werden wollen Hilfe für Start-ups aus der Hochschule
Zum Thema
Aus dem Ressort