Tag der Pressefreiheit Zahl der Angriffe auf Journalisten in Deutschland steigt

Bonn · Deutschland verbesserte sich in der Rangliste zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen - aber nur, weil sich die Lage in anderen Ländern verschlechterte, sagt Gemma Pörzgen, Vorstandsmitglied der Organisation.

 Demo im vergangenen Juli in Berlin: Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen setzen sich für den inhaftierten Mahmoud Abu Zeid ein.

Demo im vergangenen Juli in Berlin: Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen setzen sich für den inhaftierten Mahmoud Abu Zeid ein.

Foto: dpa

Armin Wolf, Moderator beim öffentlich-rechtlichen ORF , steht unter Dauerbeschuss der rechtspopulistischen FPÖ. Grund ist ein Interview mit FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, in dem der Journalist ein Plakat der FPÖ-Jugend mit einem Bild aus dem antisemitischen NS-Hetzblatt "Der Stürmer" verglich. Auch aufgrund solcher, nicht zum ersten Mal auftretender Attacken ist Österreich in der Rangliste zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen um fünf Plätze auf Rang 16 gesunken. Mit Vorstandsmitglied Gemma Pörzgen sprach Alexander Hertel zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai über die Hintergründe im Fall Armin Wolf, die Lage der Pressefreiheit in Europa und warum sich in Deutschland die Situation nicht verbessert hat - trotz besserer Platzierung als im Vorjahr.

Zum Fall Armin Wolf: Was steckt hinter solchen Attacken der rechtspopulistischen FPÖ?

Gemma Pörzgen: Leider beobachten wir seit dem Antritt der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ Ende 2017, dass sich in Österreich die verbalen Angriffe auf Journalisten und Medien häufen. Das schafft ein Klima der Einschüchterung und birgt die Gefahr zunehmender Selbstzensur in den Redaktionen. Vor allem führende FPÖ-Politiker reagieren auf kritische Interviewfragen mit persönlichen Angriffen, die ein angemessenes Verständnis für die Rolle freier Medien in einer Demokratie vermissen lassen. Die gezielten Attacken dienen dazu, Journalisten und Medien zu schwächen und in der Öffentlichkeit herabzusetzen.

Dies war nicht der erste Fall in Österreich in den vergangenen Monaten, beispielsweise im Februar wurde Wolf von Vizekanzler Strache als Lügner bezeichnet. Wie ist die Situation für Journalisten dort aktuell einzuschätzen?

Pörzgen: Der Umgang mit Armin Wolf ist aus unserer Sicht indiskutabel. Er ist einer der besten und renommiertesten Journalisten des Landes. Insofern sind die Attacken auf ihn auch Angriffe auf unseren ganzen Berufsstand und gegen die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich. Wir verurteilen dieses Verhalten gegenüber Wolf und dem ORF und sind besorgt, dass ein geplantes neues Rundfunkgesetz den Sender auch finanziell weiter unter Druck bringen könnte. In unserer Rangliste ist Österreich leider von Platz elf auf Platz 16 abgerutscht - das spiegelt die Entwicklung der Pressefreiheit in unserem Nachbarland wider.

Wie steht es generell um die Pressefreiheit in Europa?

Pörzgen: In keiner anderen Weltregion hat sich die Lage der Pressefreiheit in den vergangen Jahren so stark verschlechtert wie in Europa. Das bereitet uns große Sorge, denn die Geschehnisse in Österreich folgen einem traurigen Trend, den wir auch in anderen EU-Staaten, beispielsweise in Ungarn oder in Tschechien, beobachten. Auch dort sind Journalisten und Journalistinnen der medienfeindlichen Hetze ihrer Regierungen ausgesetzt.

In Tschechien ist Staatspräsident Milos Zeman wiederholt durch Entgleisungen aufgefallen. Bei einer Pressekonferenz trat er mit einer Kalaschnikow-Attrappe auf und bedrohte sogar die Journalisten. Auch in Ungarn setzt Ministerpräsident Viktor Orban die Medien unter Druck und hat seit seinem Machtantritt fast die ganze Medienlandschaft unter Kontrolle gebracht. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden zentralisiert, die regionale Presse ist vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Diese Liste ließe sich leider fortführen mit Beispielen aus Polen, Bulgarien, Rumänien, aber auch Italien. Zwei Journalistenmorde in der Slowakei und auf Malta in den vergangenen Jahren zeigen, dass die EU längst keine sichere Weltgegend für journalistische Arbeit mehr ist.

Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit um zwei Plätze auf Rang 13 gestiegen? Was sind die Gründe?

Pörzgen: Das liegt vor allem daran, dass sich die Lage in anderen Ländern verschlechtert hat, und ist insofern vielleicht etwas irreführend. Die Zahl tätlicher Angriffe gegen Journalisten ist in Deutschland sogar auf 22 Fälle gestiegen, gegenüber 16 Fällen im Jahr 2017. Zu Gewalt kam es vor allem am Rande rechtsnationalistischer Veranstaltungen und Kundgebungen. Die Ereignisse in Chemnitz waren da im Sommer 2018 ein trauriger Höhepunkt. Sorge bereitet uns auch die zunehmende Medienkonzentration im Zeitungssektor, denn die Vielfalt schrumpft, vor allem in der Regionalpresse. Hinzu kommen problematische Gesetze, wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das BND-Gesetz, das die Überwachung ausländischer Kollegen durch den Bundesnachrichtendienst zulässt.

Wie schätzen Sie die Entwicklung hierzulande ein?

Pörzgen: Im Vergleich zu vielen anderen Ländern haben wir freie, unabhängige Medien und eine sehr qualifizierte Berichterstattung. Dennoch befinden wir uns auch in Deutschland in einer schwierigen Phase politischer Polarisierung, die für unseren Berufsstand besondere Herausforderungen bereit hält. Es gibt sehr viel Medienkritik, die ich in Teilen für berechtigt und wichtig halte, die aber eben auch bei manchen Leuten im Vorwurf der "Lügenpresse" gipfelt. Das ist ein schlimmer Begriff aus der NS-Zeit, der unsere journalistische Arbeit sehr pauschal diffamiert.

Dagegen müssen wir uns mit guten Argumenten wehren und bei unseren Lesern, Zuhörern und Zuschauern mehr um Vertrauen werben. Wir müssen durch eine seriöse und glaubwürdige Berichterstattung überzeugen. Dazu gehört auch, dass wir, noch mehr als früher, unsere journalistische Arbeit nachvollziehbar erläutern sollten. Außerdem müsste Medienbildung selbstverständlich zu den Unterrichtsinhalten an jeder Schule werden. Das würde sehr dabei helfen, auch in Zukunft junge Menschen an seriöse Informationsinhalte heranzuführen und dafür zu interessieren. Eine Demokratie benötigt Pressefreiheit ebenso wie gut informierte Bürger.

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