Reformprogramm Macron missglückt der Befreiungsschlag

Paris · Präsident Emmanuel Macron kann mit seinem Reformprogramm die Kritiker nicht überzeugen. Doch es gibt Wege aus der Krise. Eine Analyse.

 Allsamstägliches Bild: Gelbwesten in den französischen Innenstädten, hier auf den Champs-Elysées in Paris.

Allsamstägliches Bild: Gelbwesten in den französischen Innenstädten, hier auf den Champs-Elysées in Paris.

Foto: AP

War alles nur ein großes Missverständnis? Haben die Franzosen die guten Absichten ihres Präsidenten bisher nur nicht richtig verstanden? Und hat Emmanuel Macron die Sorgen seines Volkes erst jetzt wirklich wahrgenommen, nachdem er wochenlang durch stickige Mehrzweckhallen in der Provinz getingelt ist, um mit den Bürgern den von ihm initiierten Dialog zu führen? Und wird nun alles gut, nachdem Macron die Synthese seiner neu gewonnenen Erkenntnisse ausführlich dargelegt und sich sogar vor seinem Volk ein kleines bisschen in den Staub geworfen hat?

Kein Zweifel, der Staatschef ist auf die Franzosen zugegangen und hat dabei versucht, jedem etwas zu geben. Macron hat den Linken mehr soziale Gerechtigkeit geboten, den Rechten mehr Autorität, der darbenden Mittelschicht mehr Kaufkraft und den Rentnern mehr Rente. Aber reicht das? Im selben Atemzug macht der Präsident deutlich: seinen eigentlichen Reformkurs wird er auf keinen Fall preisgeben, auch wenn es ihm am Ende den eigenen Kopf kosten könnte. Seine Wiederwahl sei ihm „völlig egal“, verkündet Macron scheinbar unbeirrt, er wolle nur, dass seine Amtszeit ein Erfolg werde.

Es geht um Gerechtigkeit und Anerkennung

Solche Aussagen lassen zweifeln, ob der Präsident seinem Volk auch wirklich zugehört hat – und verstanden hat, weshalb seit Monaten jeden Samstag Menschen in gelben Westen auf die Straßen der Republik gehen. Gleichzeitig bestätigt Macron alle Vorurteile gegen ihn. Er wirkt wie ein abgehobener Monarch, der glaubt, es genüge, einige Wohltaten zu verteilen, um die aufbegehrenden Untertanen ruhig zu stellen.

Die Franzosen verlangen bei ihren Protesten zwar Steuererleichterungen, bessere Schulen und eine funktionierende Infrastruktur vor allem im ländlichen Raum, doch sie wollen mehr sein, als nur Konsumenten von sozialen Wohltaten. Es geht den Menschen auch um Gerechtigkeit und Anerkennung. Sie sehen, dass die Kluft zwischen Reich und Arm immer größer wird und dass ein einfacher Job oft nicht mehr zum Überleben reicht.

Zentrale Themen in den Wahlkämpfen

Diese Entwicklung ist nicht neu. Schon seit einem Vierteljahrhundert ist die soziale Gerechtigkeit eines der zentralen Themen in den Wahlkämpfen. Geschehen ist in den Augen der Betroffenen allerdings zu wenig. Im Gegenteil: die wirtschaftliche Misere und damit die Spaltung des Landes hat sich nur noch weiter vertieft.

Während in Paris die Mächtigen die Globalisierung priesen und die Wirtschaft liberalisierten, erloschen in der Peripherie des Landes die Hochöfen und schlossen die Fabriken. Existenzen wurden vernichtet, Sicherheiten genommen. Die Menschen fühlten sich übergangen und alleingelassen. Diese Entwicklung ist ein Grund für den Hass auf eine abgehobene Politikerkaste.

Globalisierung ist ein Wort, das auch Macron heute sehr gern ins Feld führt, wenn er seine Reformen begründet. Der Präsident sieht sie als Chance für den Fortschritt und die Entwicklung des Landes – und wundert sich, dass ihm viele seiner Landsleute dabei nicht folgen wollen. Doch die verbinden mit der Öffnung Frankreichs keine blühenden Landschaften, sondern den Verlust von Arbeitsplätzen und den gesellschaftlichen Niedergang. Diese Angst sitzt tief, der Präsident hat das nicht erkannt.

Erhoffter Befreiungsschlag missglückt

Auch deshalb ist Macron der erhoffte Befreiungsschlag nicht geglückt. Zu vielfältig sind die Probleme, zu groß die Vorbehalte auf beiden Seiten. Doch instinktiv hat der Präsident doch den richtigen Weg eingeschlagen. Mit der Grand Débat, also dem Dialog mit den Bürgern, hat er eine Brücke über die Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten gebaut.

Diese Erkenntnis kann er nutzen. Niemand fordert einen permanenten Bürgerdialog, aber als Konsequenz muss der Zentralstaat Macht an die Regionen abgeben. Die Bürgermeister genießen, anders als die Politiker in Paris, hohes Ansehen. Sie müssen gestärkt werden.

Auch hat Macron Referenden auf lokaler Ebene ins Spiel gebracht. Die Menschen müssen sehen, dass Politik nicht nur im fernen Paris, sondern auch vor ihrer Haustür gemacht wird und dass sie Einfluss auch auf wichtige Entscheidungen haben. Mehr Verantwortung in den Händen des Volkes, damit könnten auch die Gilets Jaunes zufrieden sein.

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