Jazzfest Bonn Ein Porträt der Bonner Musikszene

Bonn · Buchtipp: Die Musikwissenschaftlerin Anke Steinbeck hat mit Musikern über Improvisation und die Magie des Jazz gesprochen. Ein Porträt der Bonner Musikszene.

Was ist Jazz für dich? Die Bonner Pianistin Julia Hülsmann reichte die Frage von Anke Steinbeck an ihren Sohn weiter. Der antwortete spontan: „Was ganz Tolles!“ Für Thomas Quasthoff, den klassischen Sänger, der mittlerweile ins Jazzfach gewechselt ist, bedeutet Jazz Freiheit, der Saxofonist Marius Neset antwortet auf die Frage: „Lass die Musik dich dahin bringen, wohin sie auch immer gehen mag“. Der Pianist Markus Schinkel schätzt den Dialog mit den Mitspielern: „Jazz ist die freie Rede ohne Manuskript.“ Und: „Jazz ist eine Lebenshaltung.“

Dieser Lebenshaltung spürt die Musikwissenschaftlerin Steinbeck in ihrem sehr anregenden Buch „Fantasieren nach Beethoven. Praxis und Geschichte kreativer Musik“ nach. Die Autorin ist Mitarbeiterin von Peter Maternas Jazzfest – beim Festival ist sie Projektleiterin. So wundert es nicht, dass man das Gros ihrer acht Interviewpartner vom Jazzfest her kennt, einige hat man schon erlebt, andere wird man in den nächsten zwei Wochen hören. Das Feld der Befragten reicht von dem Bassisten Dieter Ilg und dem Vibraphonisten und Christopher Dell bis zu Hülsmann, Schinkel, Neset und Quasthoff. Der Komponist, Organist und Gema-Chef Enjott Schneider ist ebenso dabei wie der Geiger, Violinist und Neurowissenschaftler Stefan Koelsch.

Lust auf Jazz, das Flüchtige, die Kunst der Improvisation

Die Bandbreite ist immens, reicht vom Praktiker bis zum Theoretiker, vom Jazzer bis zum Klassiker, die Gespräche sind durch die Bank hochinteressant. Wunderbar etwa Dell, der meint: „Das Emotionale und das Transzendente gehören für mich zusammen. Wenn Musik keine Abstraktion hat, berührt sie mich nicht: Doofe Musik gibt es genug und in allen Genres. Auch im Jazz gibt es doofe Musiker ohne Ende.“

Die in Steinbecks Buch Versammelten gehören nicht dazu. Ihre Statements und Gedankenspiele machen vielmehr Lust auf Jazz, das Flüchtige, die Kunst der Improvisation. Keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, wie Steinbeck in ihrer Einleitung ausführt. Bei Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven nannte man das noch „Fabulieren“.

Die Kunst der freien Töne zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, das nicht nur Musiker, Theoretiker und Komponisten dazu befragt, sondern auch deren geistiges und institutionelles Umfeld sehr genau beleuchtet. Hier richtet Steinbeck den Fokus schnell auf Bonn mit dem Erbe von Beethoven und Schumann, das in Bonn gepflegt sein will. Die Autorin spannt einen großen Bogen, der vom klassischen Musikbetrieb der Stadt bis zur Entwicklung der hiesigen Jazz-Szene reicht, Jazzfest inklusive.

Bonn als eine üppige, facettenreiche Musiklandschaft

Bonn erscheint als eine üppige, facettenreiche Musiklandschaft, die freilich von feinen Unterschieden lebt. So sieht Dieter Ilg mit Skepsis, wie sich die Musikstile vermischen: „Da wird einem manchmal etwas schwindelig, wenn man Lang Lang als Headliner eines Jazzfestivals serviert bekommt. Das hat für mich dann nichts mehr mit einem 'wirklichen' Jazzfestival zu tun... Oder hast du schon erlebt, dass die Festspiele in Bayreuth mit Herbie Hancock werben?“ Der Bonner Jazzpianist Schinkel, der etliche exzellente Beethovenprojekte realisiert hat, soll hier den letzten Satz bekommen: „Ich glaube, Beethoven wäre heute eine Art Frank Zappa.“

Anke Steinbeck: Fantasieren nach Beethoven. Praxis und Geschichte kreativer Musik. Verlag Dohr, 144 S., 20 Euro.

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