Jazzfest Bonn So furios war der Auftakt vom Jazzfest in Bonn

Bonn · Das Jazzfest Bonn hat mit Jasmin Tabatabai, der Jazzkantine, der WDR Big Band und China Moses einen furiosen Auftakt gefeiert.

Jazz ist überall. Längst hat er auch den sogenannten Mainstream durchsetzt, lässt Rock- und Pop-Songs swingen oder leiht dem Rap aufregende Samples. Diese Ausdehnung bestimmte auch den Auftakt des erneut ausverkauften Bonner Jazzfests, das am vergangenen Freitag zum achten Mal im Telekom Forum mit einem umjubelten Doppelkonzert begonnen hat. Populäre Künstler statt experimenteller Acts, eine Öffnung von Außen nach Innen – ergab Sinn. Und machte Freude.

Erwartbar war an diesem Abend wenig, gefällig dagegen vieles. Was ja nicht schlimm ist. Schon die Songauswahl von Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai, die mit dem David Klein Quartett gekommen war, sorgte für Überraschungen: Reinhard Mey und die Puhdys trafen auf Georg Kreissler und Hildegard Knef, eine persische Ballade auf eine Tucholsky-Vertonung. All das eingebettet in charmante Pop-Jazz-Arrangements, in denen vor allem Saxofonist Klein und Pianist Olaf Polziehn immer wieder Akzente setzten, während Bassist Davide Petrocca und Drummer Peter Gall die Spannung in den eher balladenhaften Stücken halten mussten.

Große Hits der 80er

Darüber schwebte das bemerkenswerte Timbre Tabatabais, diese gefühlvolle und leicht kokette Stimme, die von dem üblichen Familienchaos sang („Aller guten Dinge sind drei“) und den Diktator Tamerlan mit ironischem Unterton herbeisehnte, die mit „Another Sad Song“ noch einmal an den inzwischen 20 Jahre zurückliegenden Film- und Musikerfolg von „Bandits“ erinnerte und die in einer Zugabe vollends zu verzaubern wusste. Denn „Gole Sangam“, ein Lied aus Tabatabais persischer Heimat, rührte allein aufgrund der wunderschönen Melodie.

Im Anschluss ging die Jazzkantine und mit ihr auch die Stimmung ab. Die Hip-Hop-Jazz-Formation setzte auf bewährte Konzepte, auf funkige Bläser, einen druckvollen Drive sowie Rap-Verse, bis der Arzt kam – der dann erst so richtig loslegte. Im Fokus standen dabei die großen Hits aus den 80ern, denen die Kantinenkünstler um die beiden mit Goldketten behangenen Chefköche Cappuccino und Tachion allerdings mitunter nur bedingt gerecht wurden.

„Baba's Delight“ fehlte die Leichtigkeit der Sugarhill Gang, den Rap-Phrasen bei „I know you got soul“ schlichtweg der Witz. Schön dagegen das soulige „Pusher Girl“ mit Nora Becker, der augenzwinkernde Slow Blues „Lieber langsam“ und „Take Five“, bei dem Saxofonist Heiner Schmitz brillierte. Instrumental sorgte die Kantine ohnehin für einen durchgehenden Genuss, der das Publikum von den Stühlen riss. Auch das ist eben Jazz.

WDR Big Band und China Moses in der Uniaula

Dass am Ende des zweiten Doppelkonzerts beim Jazzfest Bonn die Aula der Universität kochen, das Publikum ausgelassen tanzen und es sich nach einer unglaublich emotionalen Hommage an Dinah Washington ergriffen zum Applaus erheben würde, war am Anfang des Abends nicht absehbar. Wobei das, was der perfekten Show der Souldiva China Moses vorangegangen war, nicht minder unter die Haut ging, nur anders. Denn die 78-jährige Vibraphon-Legende Mike Mainieri lieferte mit der WDR Big Band in bewährter Topform und ihrem charismatischen Chef Bob Mintzer einen sehr persönlich gefärbten Rückblick auf 60 Jahre miterlebte Jazzgeschichte.

Die beginnt bei Mainieri mit Django Reinhardt und dem sehr schön verwobenen und fein arrangierten Medley „Django“ und mündet schließlich in Toots Thielemans beschwingten Klassiker „Bluesette“ als Zugabe, den man mit Mainieris hingetupftem Spiel und einer wunderbar harmonisch agierenden und reagierenden Big Band mit ganz neuen Ohren hörte. Was natürlich mit Mainieris Erfahrungsschatz zu tun hat, mit Mintzers Arrangierkünsten und den erstklassigen Musikern der Band, in deren Reihen exzellente Solisten zu finden sind.

Mainieris veredelte Konzert

So hörte man auch John Coltranes „Giant Steps“ – unkonventionell gekoppelt mit Klatsch-Passagen nach Steve Reich. „Giant Steps“ stammt von 1959, im gleichen Jahr erschien Dave Brubecks „Time Out“, Miles Davis' Album „Birth of the Cool“ kam etwas früher heraus: Von diesem Kraftfeld wurde Mainieri geprägt. Diese innovative Phase des Jazz bestimmte auch den Abend mit der WDR Big Band, die mit „Body and Soul“ in einer Version Charlie Marianos schlicht atemberaubende Momente hatte. Wie dieser Klangkörper dann unter Mintzers Führung Denzil Bests rhythmisch vertracktes „Move“ geschmeidig in Ornette Colemans spannungsgeladenes Stück „Lonely Woman“ überführte, war der Clou des Abends. Und Mainieris gar nicht virtuos-akrobatisch auftrumpfendes, sondern feines, dem Klang nachspürendes Spiel veredelte dieses zweite Jazzfest-Konzert.

Das, wie erwähnt, mit der in Paris lebenden Soulsängerin und begnadeten Entertainerin China Moses eine spannende Wendung nahm. Gerade noch hatte man der heroischen Ära des Jazz beim Improvisieren zugehört, jetzt befand man sich mitten in einem imaginären Musical zur Serie „Desperate Housewives“ mit einer unglaublich witzigen Moses in wechselnden Rollen. Später ging es um Social Media, das Rauchen, die Liebe und den Reinfall mit dem falschen Mann. Das Energiebündel mit der wandlungsfähigen Soulstimme hatte nicht nur sieben Lieder der neuen CD „Nightintales“ im Gepäck, sondern vier erstklassige Musiker dabei, denen sie ganz undivenhaft viel Raum für fesselnde Jazz-Improvisationen ließ. Insgesamt ein großes Vergnügen, das noch lange nachwirkte.

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