Der "Vorleser" in Bonn: Wiedersehen im Establishment

Bernhard Schlink stellt Roman "Das Wochenende" in Buchhandlung Bouvier vor

Der "Vorleser" in Bonn: Wiedersehen im Establishment
Foto: Fischer

Bonn. Viele kamen, weil sie auch jetzt noch "Der Vorleser" beschäftigt. Schüler, die den 1995 entstandenen Welterfolg im Unterricht behandeln, ebenso wie betroffene Erwachsene, denen die Frage nach der Vergangenheitsschuld auf der Seele brannte.

Viele kamen aber auch, weil sie das Thema von Bernhard Schlinks neuem Roman "Das Wochenende" interessierte: Die literarisch noch weit weniger als der Nationalsozialismus erkundete Zeit des Deutschen Herbstes und der Roten Armee Fraktion.

Wie ein überfüllter Hörsaal zu Semesteranfang wirkte der Raum bei Bouvier. "Meine Buchhandlung", bemerkte Schlink zu Beginn der Lesung sentimental, in Anspielung auf die Jahre von 1982 bis 1991, die er als Juraprofessor an der Universität Bonn gelehrt hat.

Einer ausführlichen Vorstellung seiner Person bedurfte es nicht. Mit ruhiger Stimme las Schlink zwei lange Abschnitte des in Tage aufgegliederten Werkes, Anfang und Ende, Freitag und Sonntag.

Ein wenig zu beschaulich wirkt die Schilderung dieses ersten Wochenendes in Freiheit, das der nach 24 Jahren begnadigte RAF-Terrorist Jörg mit seinen ehemaligen Weggefährten verbringt. Eine merkwürdige Überraschungsparty, organisiert von Jörgs Schwester Christiane, die zusammen mit ihrer aus dem Osten stammenden (also "RAF-unbelasteten") Freundin Margarete einen heruntergekommenen Landsitz in Brandenburg erworben hat.

Die geladenen Gäste - "Mitkämpfer" von damals, die jedoch den letzten Schritt zum Terrorismus nicht getan haben - gehören mittlerweile zum Establishment: Ulrich hat eine Kette von Dentallabors aufgebaut und ist stolzer Familienvater, Karin wurde Landesbischöfin, Ilse hat eine Eigentumswohnung gekauft und arbeitet seit dreißig Jahren als Lehrerin. "Ich hab das noch nie gemacht: einfach freimachen", sagt sie, ein wenig naiv, zu Beginn des Wiedersehens.

Dass Personen, die einst "revolutionäre" Ziele verfolgt haben, später ein äußerst bürgerliches Leben führen können, ist belegt. Dass Eltern von ehemaligen RAF-Terroristen oft gebildet und wohlhabend waren, ist ebenso zutreffend. So ist nun im Roman "Das Wochenende" der Vater von Jörg und Christiane Professor, ein anderer ist Rechtsanwalt.

"Menschen, die monströse Dinge tun, sind nicht einfach Monster. So wäre die Welt zu einfach", erklärt Schlink, der auch als Staatsrechtler zu Fragen der Moral Stellung nimmt. Trotz aller Anleihen aus der Wirklichkeit scheinen die Personen, die "Das Wochenende" beschreibt, ein wenig unrealistisch zu sein.

Bernhard Schlink: Das Wochenende, Roman, Diogenes Verlag, 225 S., 18,90 Euro

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