Letzte Unterstützung: Jugendgerichtshilfe 21-jähriger Bornheimer will Leben ohne Gewalt und Drogen führen

Bornheim · Körperverletzung, Schwarzfahren, Sachbeschädigung und Beamtenbeleidigung - die Liste an Vergehen ist lang, die ein 21-jähriger Bornheimer führt. Mithilfe der Bornheimer Jugendgerichtshilfe will er sein Leben ändern und in den Griff bekommen.

Die Bornheimer Jugendgerichtshilfe begleitet bis zum 21. Lebensjahr Betroffene bei Gerichtsverfahren. FOTO: DPA/VOLKER HARTMA

Die Bornheimer Jugendgerichtshilfe begleitet bis zum 21. Lebensjahr Betroffene bei Gerichtsverfahren. FOTO: DPA/VOLKER HARTMA

Foto: picture alliance / Volker Hartma

Es war an Karneval vor zwei Jahren, als Mirko Kwin (21, Name von der Redaktion geändert) wieder einmal mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Er war mit Freunden unterwegs, als an der Clique fünf Polizisten vorbeigingen. Einer von Kwins Kumpeln konnte sich nicht bremsen und warf den Beamten einen saloppen Spruch an den Kopf. Die Antwort kam prompt zurück – kurz darauf lag Kwin auf dem Boden, weil die Situation völlig eskaliert war. „Ich hatte keinen Ausweis dabei und als der Polizist ein zweites Mal mit dem Schlagstock zuhauen wollte, habe ich ihm einen Tritt versetzt“, erzählt der junge Mann, der aus dem linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis kommt. Er sitzt während des Gesprächs in dem gemütlich eingerichteten Büro von Heike Koch (31), Diplom-Sozialpädagogin und zertifizierte Anti-Gewalt- und Deeskalations-Trainerin, die Mitarbeiterin bei der Bornheimer Jugendgerichtshilfe (Infokasten) ist.

Koch und Kwin kennen sich seit 2014. Mit 17 Jahren wurde der junge Mann zum ersten Mal straffällig: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. „Mirko hatte ein Problem mit Autoritätspersonen und mit seiner Impulskontrolle“, fasst Koch zusammen und erzählt weiter: „Die Gründe dafür waren unter anderem, dass er ein unsicher gebundener Mensch war und sich von Erwachsenen unverstanden fühlte, teilweise sogar verraten, was auf seine Vergangenheit zurückzuführen ist. Autoritätspersonen zu vertrauen, sie ernst zu nehmen und auf ihre Unterstützung zu hoffen, fiel ihm schwer. Deshalb hat Mirko nach eigenen Regeln gelebt und eigene Grenzen gezogen, sich nur auf sich selbst verlassen. Er wollte sich einfach nichts sagen lassen. Dieses Verhalten hat sich auch in seinen Straftaten widergespiegelt.“ Zu denen gehören auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Verkauf von Marihuana), Körperverletzung, Schwarzfahren, Sachbeschädigung und Beamtenbeleidigung.

Als Kwin das erste Mal Post von der Staatsanwaltschaft bekam, lag auch ein Schreiben von der Jugendgerichtshilfe im Briefkasten. Weder Kwin noch sein alleinerziehender Vater waren begeistert. Der Vater nicht, weil sein Sohn mit dem Gesetzt in Konflikt geraten war, der Sohn nicht, weil er „keine Hilfe wollte“. „Ich war trotzig und desinteressiert“, sagt er heute.

Koch nickt. Sie erinnert sich noch gut daran, dass es Wochen dauerte, bis Kwin Vertrauen zu ihr aufgebaut hatte und in den Gesprächen nicht mehr mauerte. „Aber zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass Mirko nicht mehr erreichbar ist oder die Kurve nicht kriegen könnte. Man muss schließlich alle Möglichkeiten ausschöpfen und in der Jugendgerichtshilfe einen langen Atem haben“, sagt Koch. Damit meint sie unterschiedliche Hilfsprogramme, die jungen Frauen und Männern wie Kwin helfen, aus dieser Abwärtsspirale wieder hinauszufinden. Finanziert wird das Ganze vom Jugendamt.

Aktuell wird Kwin für ein Jahr von einem Mitarbeiter eines Vereins, der bestehende Defizite bei jungen Menschen auszugleichen versucht, betreut. Diese Betreuung heißt im Fachjargon „Betreuungsweisung“. Im vergangenen Juli wurde der junge Mann zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verurteilt, die für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde. Bereits vor der Hauptverhandlung erörterte Koch mit Kwin die verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützung. Ein Anti-Gewalttraining hatte er bereits hinter sich sowie eine Suchtberatung bei der Caritas, Sozialstunden, einmal Dauerarrest für zwei Wochen und zweimal einen Wochenendarrest. „Aber erst mit 20 Jahren hat es bei mir klick gemacht“, sagt Kwin und errötet leicht. Man merkt ihm an, dass er sich für seine Taten schämt und diese Zeit nur noch abhaken will.

Koch begleitete ihren jungen Klienten zu den Gerichtsterminen und ordnete auf Anfrage des Richters und der Staatsanwaltschaft den familiären und sozialen Hintergrund Kwins ein, damit die Juristen einen Eindruck von ihm bekamen, der nicht in den Akten steht. „Die Jugendgerichtshilfe ist keine Ermittlungsbehörde, sie klagt nicht an, muss nicht entscheiden, was an der vorgeworfenen Tat wahr oder falsch ist, und sie befindet auch nicht darüber, welche Strafe angemessen ist“, betont Koch. Zu den Pflichtaufgaben gehören Aufklärung, Transparenz und Hilfe. Ziel ist, dass die Betroffenen künftig nicht mehr straffällig werden. Und dieses Ziel soll nicht aufgrund einer Strafe erreicht werden, sondern mit diversen Maßnahmen. „Letztlich liegt es aber an dem Klienten selbst, dass sich etwas ändert. Die Arbeit geschieht auf freiwilliger Basis. Mit Zwang kommt man nicht weit“, so die Sozialpädagogin. Heute weiß Kwin, dass nicht, wie er es früher sah, „die anderen“ schuld an seiner Misere sind.

Aktuell ist seine Situation stabil. Das tägliche Kiffen und den Alkoholkonsum hat er nach eigenen Angaben „drastisch runtergeschraubt“. Zudem versucht der junge Mann, der inzwischen alleine wohnt, seine Schulden abzuzahlen, die durch diverse Handyverträge aufgelaufen sind. Trotz seiner Probleme und Konflikte mit dem Gesetz schloss er die 10. Klasse mit dem Hauptschulabschluss ab und hat einen Job als Lagerarbeiter.

Sein größter Wunsch ist, nie mehr an den Punkt zu kommen, „an dem ich die Kurve nicht mehr kriege, weil alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Ich weiß, das ist meine letzte Chance“, sagt er leise.

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