Winzer, Pilger, Sommerfrischler, Denkmal-Retter Ein Spaziergang durch den Alfterer Ortsteil Gielsdorf

ALFTER-GIELSDORF · Wer Post von Albert Schäfer erhält, mag sich über die Ortsbezeichnung im Absender wundern: "A.-Gielsdorf" steht da zu lesen. 44 Jahre nach der großen Kommunalreform, die das einst eigenständige Gielsdorf in der neuen Flächengemeinde Alfter aufgehen, aber nicht untergehen ließ.

 Ein Gielsdorfer mit Weitblick: Karl-Theodor Freiherr von Geyr zu Schweppenburg im Garten seines Anwesens.

Ein Gielsdorfer mit Weitblick: Karl-Theodor Freiherr von Geyr zu Schweppenburg im Garten seines Anwesens.

Foto: Wolfgang Kaes

"Da bin ich eigen", sagt Gielsdorfs Ortsvorsteher Albert Schäfer und grinst schelmisch. "Schließlich steht Gielsdorf als Geburtsort in meinem Personalausweis. Wir begreifen uns hier als kleine, autonome Republik. Und das soll auch so bleiben."

Im Gegensatz zu manch anderen Orten im Rhein-Sieg-Kreis sind die Grenzen Gielsdorfs und die ursprüngliche Struktur noch klar zu erkennen. Zwar ist auch Gielsdorf in den Jahrzehnten nach der Kür Bonns zur Bundeshauptstadt deutlich gewachsen, allerdings nicht so besinnungslos wie anderenorts. Vielleicht hat das mit dem sprichwörtlichen Weitblick der Gielsdorfer zu tun. Die schauen nämlich über die Rheinebene hinweg bis zum Kölner Dom, an klaren Tagen bis ins Bergische Land.

Dass der Ort mit seinen rund 1950 Bewohnern heute "ein Vorort von Bonn" ist, will Schäfer gar nicht leugnen: "Das hat ja auch sein Gutes." Dem kann Konrad Dick, Schatzmeister des Dorfgemeinschaftshauses und die graue Eminenz des Gielsdorfer Vereinslebens, nur beipflichten: "Das ist doch schön, das vielfältige Kulturangebot der Bundesstadt gleich vor der Haustür zu haben. Bis zum Bonner Marktplatz sind es gerade mal acht Kilometer."

Oder "anderthalb Stunden zu Fuß", wie Christoph Rhein, Geschäftsführender Vorsitzender des Kirchenvorstandes, versichert. Er hat es ausprobiert. Die Leidenschaft fürs Wandern passt jedenfalls zu seinem Amt. Schließlich liegt die Gielsdorfer Pfarrkirche Sankt Jakobus, wie schon deren Name verrät, unmittelbar am weltberühmten Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien.

Derzeit wird sie aufwendig saniert. Das Erzbistum Köln möchte nicht nachstehen, wenn so viele Gielsdorfer in die Erhaltung historischer Bausubstanz investieren. Zum Beispiel die 68-jährige Heide Bost, ehemals Politik-Redakteurin des Hessischen Rundfunks, die seit zwei Jahren den kurfürstlichen Statthalterhof aus dem Jahre 1745 restauriert. Dort lebte lange Zeit der Justitiar August Adenauer mit Frau und sieben Kindern; regelmäßig besuchte ihn sein Bruder Konrad, der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Die aus dem Schwarzwald stammende Constanze Schnitter hat die ehemalige, 1844 gebaute Volksschule vor dem Verfall gerettet und dort ihre weit über die Grenzen Gielsdorfs bekannte "Genuss-Schule" etabliert. Auch das ehemalige kurfürstliche Forsthaus, das schon den Dreißigjährigen Krieg überlebt hat, erstrahlt in neuem Glanz. Gleich unterhalb des Kirchplatzes wartet ein weiteres historisches Schmuckstück auf den Betrachter: der kurfürstliche Zehnthof aus dem Jahre 1707.

Wir klingeln am Tor nebenan, der Hausherr in Arbeitskleidung öffnet und bittet uns freundlich herein: Karl-Theodor Freiherr von Geyr zu Schweppenburg. Wir stehen im Park, genießen die Aussicht über die Rheinebene, den spätklassizistischen Neubau im Rücken, den sich seine Vorfahrin Marie Antoinette zu Beginn des 19. Jahrhunderts bauen ließ, als ihr der alte Zehnthof für die Sommerfrische zu klein und zu wenig repräsentativ erschien.

Ihr Nachfahre, der 43-jährige Forstwirt Karl-Theodor, bewohnt den einstigen Sommerfrische-Sitz ganzjährig mit seiner Familie. Die Erhaltung eines denkmalgeschützten historischen Anwesens ist eine viel Liebe und Leidenschaft erfordernde Lebensaufgabe, versichern die Gielsdorfer Eigentümer, gleich ob blaublütiger oder bürgerlicher Herkunft.

Der Baron führt uns weiter zum ehemaligen Kelterhaus des Anwesens. Wein wächst das Fachwerk hinauf, süße Trauben laden zum Naschen ein. Nicht jeder Gielsdorfer Zugezogene weiß, dass der Ort bis ins späte 19. Jahrhundert ein blühendes Winzerdorf war. Bis die Reblaus diese Tradition brutal beendete. Von Ernst Moritz Arndt, einem der ersten Professoren der 1818 neu gegründeten Bonner Universität, ist der Satz überliefert: "Der Gielsdorfer Rote ist nicht zu verachten."

Weiter geht's, die Blechgasse hinauf. Jeder sagt jedem freundlich "Guten Tag", auch wenn das Reden jetzt mitunter schwerfällt: Schließlich ist die schier ewig lange Blechgasse mit 16 Prozent Steigung eine der steilsten Dorfstraßen des gesamten Vorgebirges. Am Ende, auf der Höhe, wartet der ganze Stolz des Fremdenführer-Trios: das Dorfgemeinschaftshaus, von der Bevölkerung kurz und bündig Dorfhaus genannt. Um die Jahrtausendwende schloss der letzte Gasthof Gielsdorfs. Wo sollten die Bürger fortan ihre Feste feiern?

2009 wurde ein Trägerverein gegründet, dessen Vorsitz Freiherr von Geyr zu Schweppenburg übernahm und der inzwischen 180 Mitglieder zählt. Zuschüsse konnten sowohl über das Konjunkturprogramm des Staates als auch bei der Richard-Montag-Stiftung eingeworben werden, aber ein beträchtlicher Teil der Kosten für das neue "Wohnzimmer" des Dorfes wurde über örtliche Spenden und "Muskelkapital" in Form von Eigenleistung beim Bau erbracht.

Das neue Dorfgemeinschaftshaus ist der ganze Stolz der Gielsdorfer - und über Monate im Voraus ausgebucht. Vereinsfeste, private Feiern, Kulturveranstaltungen bis zu Jazz-Konzerten - alles ist dort möglich. Sogar ein Kursus in Lach-Yoga steht auf dem Programm, wie die Hinweistafel am Eingang verrät. Vor dem Dorfhaus lädt ein außergewöhnlich großzügig gestalteter Spielplatz zum Toben ein.

Fehlt nur noch eine Schönheitskur für das Wahrzeichen Gielsdorfs, das inzwischen nicht mehr zur Zierde des schmucken Dorfes gereicht: der Wasserturm. Aber auch da ist Ortsvorsteher Albert Schäfer inzwischen wieder zuversichtlich. "Kürzlich hat ein Architekt den Wasserturm in der Zwangsversteigerung erstanden", sagt er.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort