Staatsbesuch in Berlin Holpriger Neustart zwischen Merkel und Erdogan

Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zeigen bei Teil eins ihres Versuches einer Annäherung deutlich, dass ein Neustart der Regierungsbeziehungen beider Länder sehr schwer werden wird.

Auswärtsspiel. Hartes Match. Recep Tayyip Erdogan kommt in diesem Fall nicht so einfach über den Platz. Gerade noch wollte der türkische Staatspräsident etwas zur Vergabe der Europameisterschaft 2024 vom Vortag sagen. Tor für Deutschland gewissermaßen. Erdogan hätte die EM gern in die Türkei geholt. Aber über Niederlagen sprechen – muss nicht sein.

Lieber redet der Machthaber aus Ankara über „Agenten“, die jetzt in Deutschland leben, die zu Hause in der Türkei „Staatsgeheimnisse verraten“ hätten und deswegen zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden seien. Er meint in diesem Fall den regierungskritischen Journalisten Can Dündar, der vor zwei Jahren nach Deutschland geflohen war – nach einem Artikel über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien. Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Liste mit den Namen von 69 Aktivisten übergeben, die nach türkischem Verständnis „Terroristen“ sind. Dündars Name ist darunter.

Kommt er? Oder kommt er nicht? Sieht er dem Präsidenten in die Augen? Und umgekehrt? Stellt Dündar dem Autokraten Erdogan gar eine Frage? Das ist in der Stunde vor der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan eine heiß diskutierte Frage. Dündar ist akkreditiert. Merkel wird später sagen, „prinzipiell und grundsätzlich kann hier jeder eine Frage stellen“. Deutsche Regeln auf deutschem Boden. Nur sei es in diesem Fall so gewesen, „dass sich Herr Dündar entschieden hat, hier nicht teilzunehmen“.

Die Blicke sind ernst

Dündar teilt später mit: „Zurzeit wollen Deutschland und die Türkei ihre diplomatischen Beziehungen verbessern, daher hätte meine Handlungsweise hier ein großes Problem hervorgerufen. Ein Boykott (der Pressekonferenz) seitens Erdogan hätte die Bundesregierung nicht sehr gut gefunden.“

Draußen, in der Sonne dieses Berliner Spätsommertages, zeigt das Thermometer gerade 19 Grad. Freundlich, einige Wolken. Das passt wie gemacht zum erhofften Neustart der deutsch-türkischen (Regierungs-)beziehungen. Doch im Bundeskanzleramt, vor der blauen Wand mit dem Bundesadler, sinkt die Temperatur beim gemeinsamen Auftritt von Merkel und Erdogan Schlag 13 Uhr auf den Gefrierpunkt, vielleicht sogar in den Bereich der Minusgrade.

Die Blicke von Merkel und Erdogan sind nach ihrem ersten Arbeitstreffen am Mittag sehr ernst, wobei sich die Kanzlerin noch ein Lächeln abringt. Es sei nicht zu verbergen, „dass es in den vergangenen Jahren in unserem Verhältnis tiefgreifende Differenzen gab, und es sie bis heute auch gibt.“ Erdogan fixiert während Merkels Eingangsstatement einen imaginären Punkt in der halben Höhe des Raumes. Kein Blickkontakt zum Publikum, kein Blick hinüber zur Gastgeberin. Merkel spricht die wunden Punkte an: Inhaftierte Deutsche in türkischen Gefängnissen – teilweise über Monate ohne Anklage, Eindämmung von Pressefreiheit.

"Zeit, Geduld und Beharrlichkeit"

Bei den türkischen Personenschützern kommt derweil Unruhe auf. Sie weisen den deutschen Personenschutz darauf hin, dass unter den Journalisten ein verdächtiges Subjekt gesichtet worden sei. Ertugrul Yigit, regimekritischer Journalist, der in Deutschland lebt. Yigit fotografiert Erdogan und Merkel aus der ersten Reihe. Er hat ein T-Shirt an, auf dem steht in Türkisch: „Freiheit für Journalisten.“ Der türkische Personenschutz dringt weiter: endlich Zugriff. Nach einigem Hin und Her wird Yigit schließlich aus dem Bereich der Pressekonferenz geführt – von drei Sicherheitsbeamten. Er ruft: „Ich habe nichts getan.“ Erdogan hat im Trubel die Frage zur EM-Vergabe an Deutschland ganz vergessen.

Er ist dann wieder bei Terrororganistionen: der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen. Erdogan dringt darauf, dass auch Deutschland die Gülen-Bewegung als Terrororganisation einstuft – und zahlreiche der in Deutschland lebenden Gülen-Anhänger an die Türkei ausliefert. So schwer könne es doch gar nicht sein. Wenn die PKK in Deutschland schon verboten sei, „dann wird es sicher einfach sein, auch diese andere Terrororganisation anzuerkennen“. Merkel gibt ihm nicht nach: „Wir brauchen noch mehr Material.“ Erdogan beharrt, also umgekehrt gebe es „bei mir kein Pardon. Er würde solche Leute ausliefern, und spielt wieder auf Dündar an: „Dann würde ich ihn rausgeben.“

Dieser deutsch-türkische Neustart ist auch mit dem Protokoll eines Staatsbesuches keine Wohlfühlveranstaltung. Schon am Morgen beim Empfang mit militärischen Ehren in Schloss Bellevue durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist die Atmosphäre frostig. Steinmeier ist anzusehen, dass dieser Besuch für ihn keine Routineveranstaltung ist. Am Abend beim Staatsbankett ist der Bundespräsident bereits im dritten Satz seiner Rede beim Problem: „Und, ja, es ist auch gut, zu streiten – jedenfalls, wenn wir es auf eine 'möglichst gute Art' tun, wie es im Koran heißt.“ Verständigung brauche „Zeit, Geduld und Beharrlichkeit“. Auf den Straßen von Berlin demonstrieren sie da gegen den Erdogan-Besuch. Steinmeier sagt: „Herr Präsident, Sie haben die große Emotionalität gespürt, die Ihrem Besuch in meinem Lande entgegenschlägt.“ Treffer.

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