Wahl in Israel Netanjahu zeigt Nerven

JERUSALEM · Im Endspurt zeigt Benjamin Netanjahu Nerven: Am Sonntagabend trat Israels Ministerpräsident auf einer Großdemonstration des rechten politischen Lagers im Zentrum von Tel Aviv auf, um die Teilnehmer auf eine Stimmabgabe für seine Likud-Partei einzuschwören.

 Wahlkampf in Israel: Ein Wahlhelfer der ultraorthodoxen Schas-Partei diskutiert mit einer Frau im Zentrum von Jerusalem.

Wahlkampf in Israel: Ein Wahlhelfer der ultraorthodoxen Schas-Partei diskutiert mit einer Frau im Zentrum von Jerusalem.

Foto: dpa

Heute wählen die Israelis ein neues Parlament, und Netanjahus Auftritt deutet darauf hin, dass er kalte Füße bekommt. Dreieinhalb Monate nach der überraschenden Entscheidung, seine zerstrittene Mitte-Rechts-Koalition aufzulösen, sahen die Wahlumfragen den Likud zuletzt nur noch auf Platz zwei.

Stärkste Fraktion in der 120 Sitze umfassenden Knesset könnte demnach die "Zionistische Union" von Arbeitsparteichef Jitzhak Herzog werden. Der 54-jährige Rechtsanwalt und Sohn des früheren israelischen Staatspräsidenten Chaim Herzog hatte im Dezember eine Wahlliste mit der von Netanjahu entlassenen Justizministerin Zipi Livni gegründet, die ursprünglich selbst dem rechten Likud angehörte und heute eine eigene Partei, "Hatnua" (Bewegung), leitet. Herzog bietet sich als sozialdemokratische Alternative zu Netanjahu an, dem es in den vergangenen sechs Jahren seiner Regierungszeit nicht gelungen ist, die wachsende soziale Kluft in Israel zu verringern.

Doch selbst wenn die "Zionistische Union" besser als Likud abschneiden sollte, muss Herzog nicht zwingenderweise von Staatspräsident Reuven Rivlin mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Das liegt an der stark zersplitterten Parteienlandschaft. Herzog hofft zwar, wenigstens 30 Mandate zu erringen, doch letztlich kommt es darauf an, ob er so viele Partner zusammenbringt, dass es für die absolute Mehrheit von 61 Sitzen reicht. An dieser Hürde war schon Livni gescheitert, die Netanjahu 2009 den Sessel des Premierministers überlassen musste.

Der 65-jährige Netanjahu hat im Wahlkampf ganz auf das Thema Sicherheit gesetzt. Als Höhepunkt seiner Kampagne sahen Israels Kommentatoren seinen umstrittenen Auftritt vor den beiden Häusern des US-Kongresses in Washington, wo er Anfang März vor einem nuklear bewaffneten Iran warnte. Seine Chancen bei den Wählern deutlich verbessert hat die Rede nicht. Negativ zu Buche schlugen Berichte über hohe Ausgaben für seine Lebensführung auf Kosten des Staates, die Pfandflaschen-Affäre um seine Frau Sarah und eine Studie zu den gestiegenen Immobilienpreisen und Wohnungsmieten.

Dass ihn nun selbst die Umfragen beunruhigen, zeigte sich an einer Reihe von Interviews, die Netanjahu in den vergangenen Tagen den Medien gab, was sonst kaum vorkommt. Dabei warnte er vor einem Sieg des "linken Lagers", das das Land radikalislamischen Terroristen ausliefern würde, wenn die Palästinenser ihren eigenen Staat bekämen.

Für die Demonstration auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv war Netanjahu ursprünglich nicht angekündigt. Am Sonntagabend warb er dann aber vor über 20 000 Menschen dafür, dass sie ihre Stimme dem Likud geben. Netanjahu versprach im Gegenzug, in jedem Fall die Siedlerpartei "Jüdisches Heim" von Wirtschaftsminister Naftali Bennett in seine Koalition aufzunehmen.

Viel umworbener Politiker ist Mosche Kachlon, einstiger Parteigänger Netanjahus, der bis 2013 unter ihm Minister für Kommunikation und Soziales war und jetzt mit der neuen Partei "Kulanu" (Wir alle) antritt. Er hat bisher das Angebot Netanjahus ausgeschlagen, das Amt des Finanzministers in einer neuen Regierung unter Likud-Führung zu übernehmen. Die Zeitung "Haaretz" zitierte den Filialleiter eines Supermarktes um zu illustrieren, dass viele Wähler von Netanjahu genug haben: "Als Likud-Anhänger kann ich es nicht über mich bringen, die Arbeitspartei zu wählen. Ich wähle Kachlon, und wenn er dann Herzog als Premier empfiehlt, ist mir das egal."

Israel - Daten und Fakten

l Gesamtbevölkerung: Rund 8,2 Millionen, davon 6,1 Millionen Juden (75 Prozent) und knapp 1,7 Millionen Araber (fast 21 Prozent). Die restlichen Einwohner gehören anderen Minderheiten an.

l Wahlberechtigte: 5,9 Millionen

l Landesgröße: 22 145 Quadratkilometer (etwa die Größe Hessens)

l Währung: Neue israelische Schekel

l Hauptstadt: Jerusalem (international nicht anerkannt)

l Amtssprachen: Hebräisch, Arabisch

l Bevölkerungswachstum: etwa zwei Prozent

l Bruttoinlandsprodukt: etwa 291 Milliarden US-Dollar

l Durchschnittliches Monatseinkommen: 9106 NIS (gut 2069 Euro)

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