Am Ende Die ungeliebte, die verhasste Republik

Der Kaiser flieht ins Exil, die Militärs trauern der Monarchie nach, die Arbeiter proben den Aufstand, marodierende Freikorps üben Selbstjustiz, ein erfolgloser Kunstmaler namens Adolf Hitler übt sich in der Kunst der Massenverführung. Die Zahl der überzeugten Demokraten ist schlicht zu klein, um der ersten deutschen Demokratie zum Erfolg zu verhelfen.

 Bonn, 15. März 1920: Rund 30.000 empörte Bürger versammeln sich auf dem Marktplatz, um gegen den Kapp-Putsch zu protestieren

Bonn, 15. März 1920: Rund 30.000 empörte Bürger versammeln sich auf dem Marktplatz, um gegen den Kapp-Putsch zu protestieren

Der Namensgeber des Putsches ist so gar nicht der Typ, der Festungen oder Frauenherzen im Sturm erobert. Der Mann heißt Wolfgang Kapp, ist klein und kugelrund, trägt einen Zwicker auf der Nase und Ärmelschoner im Dienst. Der 62-jährige Beamte, Abteilungsleiter bei der preußischen Provinzialverwaltung, hat die oberste Sprosse der Karriereleiter längst erklommen; da darf er sich im März 1920 unverhofft für die Dauer von vier Tagen Reichskanzler nennen - nicht vom deutschen Volk gewählt, sondern von deutschen Militärs dazu ernannt.

Berlin, die Nacht zum 13. März, nur 16 Monate nach Kriegsende. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) kann nur mit Mühe die Fassung wahren. Vor ihm steht einer seiner Generäle und verweigert mit einem Lächeln auf den Lippen Noskes Befehl. Der lautet: Stoppen Sie die meuternden Offiziere, die mit ihren Einheiten auf Berlin zumarschieren - um Reichspräsident Friedrich Ebert und die vom Volk gewählte Regierung aus SPD, katholischem Zentrum und der liberalen DDP zu stürzen.

Doch der Befehlsverweigerer, Generaloberst Hans von Seeckt, Chef des Truppenamtes im Ministerium, bleibt dabei: "Truppe schießt nicht auf Truppe. Sonst ist alle Kameradschaft im Offizierskorps hin." Noske wutentbrannt: "Dann werde ich die Polizei mobilisieren." Der General entgegnet süffisant, er müsse dem Herrn Minister leider auch diese Hoffnung nehmen; das Polizeikorps mache bereits gemeinsame Sache mit den Putschisten.

Noch in der Nacht flieht die Regierung nach Dresden und weiter nach Stuttgart, im Morgengrauen ist die Hauptstadt besetzt. Die Offiziere installieren den Zivilisten Wolfgang Kapp als Reichskanzler; ein Mann mit zuverlässig reaktionärer Gesinnung, zugleich schwach und abhängig genug, um sich von den Militärs steuern zu lassen. Eine Marionette.

Die Putschisten halten sich nur vier Tage. Bürgerliche Mitte und Arbeiterschaft solidarisieren sich und folgen dem Aufruf zum Generalstreik. Alleine in Bonn versammeln sich am 15. März mehr als 30.000 empörte Bürger auf der Hofgartenwiese und ziehen zum Marktplatz. Am 17. März geben die Rädelsführer in Berlin auf. Wolfgang Kapp flieht nach Schweden.

Die junge Republik hat zwar für den Moment gesiegt, doch die Demokratie hat schon längst verloren. Denn die Sozialdemokraten, zunächst stärkste Kraft im Parlament, und ihre Koalitionspartner der "Weimarer Mitte" fürchteten im ersten Regierungsjahr unter dem Eindruck der Revolution in Russland so sehr ihre Gegner von links, dass sie zu deren Bekämpfung immer wieder rechtsextreme und reaktionäre Kräfte heranzogen, diesen so zu Bedeutungszuwachs verhalfen und bald die Rechnung präsentiert bekamen. Zum Beispiel von den sogenannten Freikorps.

Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges diktierten im Versailler Vertrag unter anderem, dass die deutschen Streitkräfte um 300 000 Soldaten, darunter 20 000 Offiziere, zu reduzieren seien. So stehen plötzlich Männer ohne Geld und erlernten Beruf da, die im Kaiserreich allein schon durch ihre Uniform eine herausragende gesellschaftliche Akzeptanz genossen. Kleider machen Leute; Uniformen erst recht.

Nicht wenige dieser nun arbeitslosen "ewigen Landsknechte" rotten sich zu Freikorps zusammen - eine Nebenarmee im rechtsfreien Raum. Unter deren Offizieren finden sich zahlreiche spätere SA- und SS-Führer (etwa der Kommandant des KZ Auschwitz, Rudolf Höß), denen die Demokratie zutiefst verhasst ist und auf deren Konto während der ersten fünf Jahre der Republik mehr als 400 Attentate gehen.

Die prominentesten Opfer jener Zeit:
Am 15. Januar 1919 nimmt eine aus ehemaligen kaiserlichen Offizieren bestehende "Bürgerwehr" die beiden sozialistischen Arbeiterführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ohne rechtliche Legitimation in einer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf fest. Im Hotel Eden, Residenz des Stabes der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, werden die Entführten verhört und schwer misshandelt. Kommandant Waldemar Pabst bespricht mit seinen Offizieren, die Festgenommenen zu ermorden; der Mord soll aber nach einer spontanen Tat Unbekannter aussehen.

Rosa Luxemburg wird mit einem Gewehrkolben bewusstlos geschlagen und in ein Auto geworfen. Leutnant Hermann Souchon springt auf das Trittbrett und erschießt sie mit einem aufgesetzten Schläfenschuss. Ihre Leiche wird in den Landwehrkanal geworfen. Karl Liebknecht wird ebenfalls mit Gewehrkolben traktiert und am Neuen See von vier Marineoffizieren erschossen.

Am 21. Februar 1919 wird Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident Bayerns nach dem Krieg, in München von dem Infanterie-Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley aus unmittelbarer Nähe mit zwei Schüssen in Rücken und Kopf getötet. Am 9. Juni 1921 wird Karl Gareis, Fraktionsvorsitzender der USPD im bayerischen Landtag, vor seiner Haustür in München erschossen.

Am 26. August 1921 wird der Zentrumspolitiker und Finanzminister Matthias Erzberger beim Spaziergang im Schwarzwald mit acht Schüssen aus nächster Nähe hingerichtet. Im Jahr zuvor, als Erzberger in Berlin einem Freikorps-Attentat knapp entgangen war, sagte er seiner Tochter Maria: "Die Kugel, die mich trifft, ist schon gegossen."

Am 4. Juni 1922 überlebt der SPD-Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann ein Attentat. Während eines Spaziergangs mit seiner Tochter in Kassel spritzen ihm die beiden Täter Blausäure ins Gesicht.

Am 24. Juni 1922 wird der Reichsaußenminister und ehemalige AEG-Manager Walther Rathenau auf dem Weg ins Auswärtige Amt getötet. Einer der beiden antisemitischen Täter feuert mit einer Maschinenpistole, der andere wirft eine Handgranate in das Auto.

Der verlorene Krieg entlässt die Deutschen in eine Demokratie, die kaum jemand liebt und viele hassen. Die deutschen Kommunisten träumen von der Diktatur des Proletariats nach sowjetischem Vorbild; die Separatisten wollen ein Rheinland, das von Paris statt von Berlin regiert wird; ein erfolgloser Kunstmaler namens Adolf Hitler übt sich in verrauchten Bierkellern in der Kunst der Massenverführung; der Großteil der deutschen Elite macht kein Geheimnis daraus, der Monarchie und der militaristischen Klassengesellschaft nachzutrauern - und natürlich dem letzten Kaiser der Deutschen, Wilhelm II., verwandt mit dem halben Hochadel Europas, mit dem russischen Zaren ("Lieber Nicki") ebenso wie mit dem englischen Königshaus, der es am Ende des verlorenen Krieges vorzog, sich der Verantwortung durch Flucht zu entziehen und die niederländische Königin Wilhelmina um Asyl zu bitten.

In Haus Doorn, einem Schloss bei Utrecht, wird er 82 Jahre alt, aber keineswegs klüger. 1927 schreibt Wilhelm: "Die Presse, die Juden und die Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss." 1939 schreibt Wilhelms zweite Ehefrau Hermine: "Man sollte den Kaiser hören, wie er über all das Große, was der Führer geschaffen hat, spricht, und wie er alles anerkennt und sich darüber freut." Im Juni 1940, ein Jahr vor seinem Tod, schickt er Adolf Hitler ein Telegramm: "Unter dem tief ergreifenden Eindruck der Waffenstreckung Frankreichs beglückwünsche ich Sie zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg ...".

Die Abhängigkeit von den Militärs als "Staat im Staate" wird die Weimarer Republik nicht los. Reichswehrminister Noske muss nach dem Kapp-Putsch seinen Hut nehmen, während General von Seeckt, der Befehlsverweigerer, der seinen Eid auf die Verfassung brach, zum Chef der Heeresleitung befördert wird.

Eine der zentralen Zielscheiben für den geballten Hass der Demokratiegegner ist Friedrich Ebert, sechs Jahre - bis zu seinem Tod 1925 - der erste Reichspräsident der Republik. Eberts (unstillbarer) Sehnsucht, mit seinen Sozialdemokraten nicht länger als "vaterlandslose Gesellen" diffamiert zu werden, entsprang die Zustimmung zu Kriegskrediten und der Burgfriede mit dem Kaiser "im Interesse der Nation" ebenso wie anschließend das Bündnis mit der Obersten Heeresleitung zur Niederschlagung der Arbeiteraufstände.

9. November 1918. Prinz Max von Baden, letzter Kanzler der Monarchie, erledigt zwei Dinge: Er teilt dem deutschen Volk mit, dass es keinen Kaiser mehr hat, und übergibt die Verantwortung an Friedrich Ebert. Der Prinz und der Sattlergeselle schauen sich in die Augen. "Ich lege Ihnen das deutsche Reich ans Herz", sagt der Prinz. "Für dieses Reich habe ich zwei Söhne verloren", entgegnet der Sattlergeselle.

Sechs Jahre lang versucht Reichspräsident Friedrich Ebert, die Deutschen von der Demokratie zu überzeugen - bis zu seinem Tod. Am 28. Februar stirbt er mit 54 Jahren an einer Bauchfellentzündung. Seine politischen Gegner von links und von rechts tragen Mitschuld an seinem Tod, und sie tragen sie gern.

Der Mann der leisen Töne ist den pausenlosen Hetzkampagnen der Kommunisten, der Monarchisten und der Nationalsozialisten nicht mehr gewachsen. Im Dezember 1924 erklärt ein Gericht die ehrabschneidende Verleumdung, Ebert habe in den letzten Kriegswochen durch sein politisches Verhalten Landesverrat begangen, für "juristisch unbedenklich". Als man ihn Wochen später vor einen Untersuchungsausschuss zitiert, verschiebt er trotz ärztlicher Warnung eine Blinddarm-Operation, um seine Ehre zu retten. Das ist sein Todesurteil.

Zwei Monate nach Eberts Beisetzung hat der Kandidat der "Weimarer Koalition" bei der Reichspräsidentenwahl nicht den Hauch einer Chance. Die nationalistischen Parteien setzen sich durch. Paul von Hindenburg, das neue Staatsoberhaupt, ehemals Generalfeldmarschall des Kaisers (und bis heute Ehrenbürger der Stadt Berlin) macht nie ein Hehl daraus, was er von diesem demokratischen Staat hält: nichts.

Er betreibt eine schleichende Aushöhlung der Verfassung, entlässt ihm unliebsame Kanzler wie zu Kaisers Zeiten. Die erste deutsche Republik macht sich mit Hindenburg auf den Weg in die Diktatur. 1933 unterzeichnet der "Held von Tannenberg" Hitlers Ermächtigungsgesetz.

Fotos: GA-Archiv, Picture Alliance

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