Künstler im Krieg Das Schlachtfeld als Schule des Talents

Mit Hurra sind auch Deutschlands Künstler in den Krieg gezogen; sie erhofften sich extremes Erleben und neue ästhetische Eindrücke. Die Ernüchterung folgte bald - und damit auch erschütternde Bilder von Gewalt und Leid.

 Stumpfer, leerer Blick, die Malhand verstümmelt: Ernst Ludwig Kirchners "Selbstbildnis als Soldat" aus dem Jahr 1914 bedarf keines Kommentars.

Stumpfer, leerer Blick, die Malhand verstümmelt: Ernst Ludwig Kirchners "Selbstbildnis als Soldat" aus dem Jahr 1914 bedarf keines Kommentars.

Foto: Picture Alliance

Meine Kunst kriegt hier zu fressen; mir ist ganz recht, dass Krieg ist", schrieb Max Beckmann im Mai 1915 an seine Frau Minna. "Meine Kunst kriegt hier zu fressen" ist ein Satz, der noch heute, hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Gänsehaut erzeugt.

Aus ihm klingt Begeisterung und Zynismus, er dokumentiert treffend das Lebensgefühl einer Künstlergeneration, die, angeödet von einem erstarrten Kunstbetrieb und einer verknöcherten Gesellschaft, das extreme Erleben herbeisehnte, eine ästhetische Katharsis, die der "heilige Krieg" (Ernst Barlach) versprach, den "heilsamen, wenn auch grausamen Durchgang zu neuen Zielen" (Franz Marc).

Der Satz "Meine Kunst kriegt hier zu fressen" ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn so sehr Künstler, die als Seismografen für gesellschaftliche Erschütterungen gelten und teilweise die Weltkriegskatastrophe mit drastischen Werken vorhersahen, hungrig waren auf die neuen Bilder und Eindrücke von der Front, so hoch war doch auch der Preis, den sie dafür zahlten.

Der Höhenflug dauerte für manche nur bis zum ersten Artilleriebeschuss im Schützengraben, bis zu den ersten grausam zerfetzten Kameraden. Schon bald nach Kriegsbeginn schrieb Oskar Schlemmer nach einer Verwundung: "Ich bin nicht mehr der Kerl, der sich im August freiwillig gemeldet hat. Körperlich nicht mehr, und ganz besonders in der Gesinnung."

Zu dem Zeitpunkt war August Macke bereits gefallen. Beckmann und Ernst-Ludwig Kirchner landeten nach Nervenzusammenbrüchen an der Front im Sanatorium. Marc wurde wenige Tage nach den Zeilen "Wir sind heraußen wohl genau wie ihr fiebrig gespannt auf den Ausgang dieses riesigen Kampfes" im März 1916 tödlich getroffen.

Zwei Wochen, bevor Macke Ende September 1914 fiel, schrieb er an seine Frau Elisabeth: "Der Krieg ist von einer namenlosen Traurigkeit. Man ist weg, eh man's merkt. (...) Die Leute, die in Deutschland im Siegestaumel leben, ahnen nicht die Schrecklichkeit des Krieges. Aber ich bin guten Mutes und gesund, und ich weiß, wofür ich gestorben bin, wenn wir den Sieg behalten und unsere Gaue von diesen Verheerungen verschont bleiben, denen Frankreich anheim fällt."

Macke erlebte, was wenige Mahner unter den Künstlern Jahre zuvor in gewaltigen Visionen festgehalten hatten. Max Slevogt etwa oder besonders Ludwig Meidner, der Jahre vor Kriegsausbruch Bombardements und Brände malte, "apokalyptische Landschaften" schuf.

Das Fürchterliche an dieser Prophetie: Zwischen 1914 und 1918 malten Meidners Kollegen genau solche Impressionen - diesmal nach realen Erfahrungen. Die Welt kollabiert, Blitze zucken, der Boden tut sich auf, der Himmel öffnet sich in unheimlichem Rot, Menschen, Tiere wirbeln durch die Luft. Kandinsky hat dieses meisterhafte Bild "Sintflut I" genannt.

Er wollte es aber nicht als bloßen Inbegriff der Katastrophe verstanden wissen. Denn jeder große Untergang sei auch "ein lebendes Loblied, ein Hymnus der neuen Entstehung". Aus einer zerstörten alten Welt solle eine neue geistige Epoche hervorgehen - nicht nur Kandinsky formulierte dieses Credo der Moderne. "Sintflut I" malte er 1912, als von Krieg noch keine Rede war.

Eine düstere Vision. Beckmann, Liebermann und Corinth, Slevogt, Barlach und viele andere hatten den Kriegsausbruch begrüßt, Kokoschka, Marc, Grosz und Dix hatten sich freiwillig an die Front gemeldet. Karl Scheffler, Redakteur der Monatsschrift "Kunst und Künstler", der "Briefe und Zeichnungen aus dem Felde" von Max Beckmann publizierte, brachte den Zeitgeist auf den Punkt: Der Krieg müsse "eine Schule des Talents werden", der Künstler werde überwältigt "von der furchtbaren Schönheit des Krieges und von dem malerisch bewegten Reichtum einer vom Kampf durchtobten Landschaft".

Otto Dix ließ seine schrecklichen Kriegserlebnisse als MG-Schütze in Langemarck und Kemmel 1924 in das Triptychon "Der Krieg" und 1934 in das Gemälde "Flandern" einfließen.

Was fesselte die Künstler an der Front? Beckmann, seit Ende 1914 in Belgien stationiert, faszinierte das "fatale Zischen der Gewehrkugeln" ebenso wie die "mondgebirgeartigen" Ruinenstädte. Im Kopf hat er nicht nur Bilder vom Kriegsgräuel, er arbeitet geistig an einem Auferstehungsbild, in das er das "blendende Weiß der Fliegergranaten am bleiweißen Sonnenhimmel" und die "nassen, scharfen, spitzen Schatten der Häuser" integrieren will.

Noch im Krieg zeichnet Beckmann einen aus einem Gewühl von Leibern und fuchtelnden Extremitäten bestehenden "Sturmangriff", hält Lazarett- und OP-Szenen, Beobachtungen in Leichenhäusern und auf Schlachtfeldern fest. Anhand von Beckmanns Biografie lässt sich der Gesinnungswandel unter dem Eindruck der Extremsituation an der Front nachzeichnen. Beckmanns Briefe dokumentieren ab April 1915 wachsende Sorge.

Am 12. Juni bricht der Briefwechsel ab. Zuvor hatte er noch von "Schauer und Wollust" geschrieben und "Ich wollte dann, der Krieg wäre zu Ende und ich könnte malen." Beckmann schreibt im September an Minna: "Für mich ist jeder Tag ein Kampf. Und zwar ein Kampf mit mir selbst und den bösen Träumen, die um mein Haupt surren wie die Mücken."

Sein berühmtes "Selbstbildnis als Krankenpfleger", das den Maler mit kantigem Schädel und seltsam starrem Blick zeigt, konzipierte Beckmann in Straßburg, als sich der 31-Jährige von einem Nervenzusammenbruch erholte. Die Kunsthistorikerin Cornelia Stabenow schreibt von "mühsam gehaltenen Gesichtszügen" und einem Blick, der forschend und fragend auf sich selbst gerichtet sei. Beckmann gestand später, er habe sich mit dem Selbstporträt sehr gequält: "Da kommt zum ersten Mal heraus, was ich inzwischen im Krieg erlebt hatte."

Wie Beckmann trugen zahlreiche Künstler die Erschütterungen des Weltkrieges auch nach 1918 mit sich herum. George Grosz' fantastische Mappe "Ecce homo" etwa durchdringt diese "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" wie kein anderes Werk.

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