Krieg literarisch Das Grauen auf Papier

Granatendonner in Versform, peinliche Entgleisungen auch der ganz Großen, Männerromantik an der Front und die Botanik der Schlachtfelder: Wie deutsche Schriftsteller den Krieg zu verarbeiten suchten.

 Erich Maria Remarque (1898-1970): "Wären wir 1916 heimgekommen, wir hätten aus dem Schmerz unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zurückkehren, sind wir müde, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung. Wir werden uns nicht mehr zurechtfinden können."

Erich Maria Remarque (1898-1970): "Wären wir 1916 heimgekommen, wir hätten aus dem Schmerz unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zurückkehren, sind wir müde, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung. Wir werden uns nicht mehr zurechtfinden können."

Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. Nachmittags Schwimmstunde." Die Tagebucheintragung Franz Kafkas zum 1. August 1914 zeigt, dass die Meister des Wortes nicht immer Meister beim Einordnen der Geschehnisse sind. Wenn sie's versuchen, schreibt sich mancher um Kopf und Kragen; nicht jeder distanziert sich so schweigend naiv von aller Politik wie der stille Kafka.

Im Ersten Weltkrieg kam das Hurrageschrei nicht nur aus mancher Kehle, sondern auch aus mancher Feder. Dichter auf Seiten der Vernichtung feuerten an, heizten ein, peitschten auf - auch Leute, die wir zum Olymp unserer Sprache zählen. Wer tief genug gräbt, findet in manchem Gesamtwerk so manche Entgleisung.

Etwa die Aufforderung zum Kanonenfüttern durch Deutschlands geliebtesten Seelenromantiker: Einmal schon, da ihr gebart, empfandet ihr Trennung, Mütter, / empfindet auch wieder das Glück, daß ihr die Gebenden seid. / Gebt wie Unendliche, gebt. Seid in diesen treibenden Tagen / eine reiche Natur. Sendet die Söhne hinaus.

Kaum zu glauben: Das ist von Rilke. Oder was ein Chefdichter der proletarischen Internationale verbrach: Und am Tage klingen aus wogenden Ährenmeeren / Widerschallend von der französischen Schlachten Getöse / Auf zum Himmel, sonnendurchbebt / Die ehern schweren Gesänge von Deutschlands siegender Größe / Die aus Friedhöfen sich Brotäcker gräbt. Diese Aus-Tod-erwächst-Leben-Mystik stammt von Bert Brecht.

Auch ein Träger des Nobelpreises wollte nicht fehlen (der steht laut Stiftungsurkunde dem zu, der "in der Literatur das beste in idealistischer Richtung geschaffen hat"). Diesen Leib, den halt ich hin / Flintenkugeln und Granaten. / Eh' ich nicht durchlöchert bin, / Kann der Feldzug nicht geraten. "Idealismus" à la Gerhart Hauptmann.

Mit Fortgang des Krieges traten die etablierten Literaten desillusioniert in den Hintergrund und machten neuen Autoren Platz, die den Krieg aus eigenem Erleben beschrieben.

Als Abenteuer unter Männern zeichnet ihn etwa der Thüringer Walter Flex: Seine Erzählung "Der Wanderer zwischen beiden Welten" (1916) berichtet von der Freundschaft zweier Soldaten - mit vielen romantischen Gesprächen und latent homoerotischen Szenen: "Feucht von den Wassern und von Sonne und Jugend über und über glänzend stand der Zwanzigjährige in seiner schlanken Reinheit da". Der "Wanderer" wurde zum erfolgreichsten deutschen Buch der Kriegszeit. Flex hatte nur nichts davon: Er fiel 1917 in Estland.

August Stramm, 1915 gefallen, wählt den expressionistischen Ansatz. Der Postinspektor mit Doktortitel versuchte, dem Trommelfeuer in einer neuen Form von Lyrik gerecht zu werden - freie Verse, abgehackte Rhythmen, neuerfundene Wörter oder solche, die aufs Bedeutungsskelett reduziert sind. "Im Feuer" heißt eins von Stramms Gedichten: Tode schlurren / Sterben rattert / Einsam / Mauert / Welttiefhohe / Einsamkeiten. "Granaten" ein anderes: Klappen Tappen Wühlen Kreischen / Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren / Splittern Klatschen Knarren Knirschen / Stumpfen Stampfen / Der Himmel tapft.

Wieder anders versucht es Ernst Jünger in seinem legendären Erstling "In Stahlgewittern" (1920). Er beschreibt das Geschehen in nüchternem Ton, mit allen brutalen Details, aber ohne jede Wertung, fast wie ein naturwissenschaftliches Versuchsprotokoll.

Nach einem "Sinn" der Schlächterei fragt er gar nicht erst, sondern stellt lieber Überlegungen zur Botanik der Schlachtfelder an. Der Kritikpunkt Jüngers am Krieg ist dabei nicht, dass die Menschen sich massenhaft morden - sondern dass sie es durch Maschinen tun statt per Hand.

Manche nennen das zivilisationskritisch. Manche nennen es stoisch. Manche nennen es zynisch. Stil und Denkungsart machten Jünger schlagartig (und für die kommenden 78 Jahre) berühmt und heftig umstritten zugleich. Dass es auch hinter dieser Fassade wohl vor allem darum ging, dem Unfasslichen zumindest auf dem Papier irgendeine neue, erträglichere Form zu geben, verrät der Blick in die Originalfassung von Jüngers Tagebüchern. Sie enthalten den Aufschrei: "Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?"

Wenn es zu den "Stahlgewittern" einen Gegenpol gibt, dann ist es "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque, erschienen 1929. Es liefert nicht die Perspektive des Offiziers, sondern des einfachen Soldaten, beginnt nicht mit der Ankunft an der Front, sondern mit der entwürdigenden Schleiferei in der Kaserne.

Der Weltkriegssoldat ist kein Träumer, kein Ritter, nur entmenschlichtes Opfer einer Mordmaschinerie. Eine Sichtweise auf den Krieg, die uns Heutigen näher ist als die der Jüngers und Flex' - ein Grund, warum Remarques Roman damals wie heute aufwühlt, immer wieder neu aufgelegt und mehrfach verfilmt wurde.

"Kriegsliteratur" waren aber auch viele Bücher, in denen Kanonen und Granaten gar nicht vorkommen. Wäre Oswald Spenglers kulturgeschichtliche Theorie vom "Untergang des Abendlandes" (1918/22) zum Bestseller geworden, wenn die Menschen so einen Untergang nicht gerade erlebt hätten?

Oder Thomas Manns berüchtigte "Betrachtungen eines Unpolitischen" (erschienen 1918), in denen er die Demokratie als "undeutsch" verurteilt und so zu ihrer Ächtung in bürgerlichen Kreisen beitrug: Mann selbst bezeichnet das Werk als Ergebnis eines "mehr als zweijährigen Gedankendienstes mit der Waffe".

Am Untergang der alten Welt lag es auch, dass nach 1918 eine neue Literatur auf offene Ohren stieß - die Sprengung aller Traditionen und überkommener Formen, voller Experimente mit neuen Ausdrucksarten (etwa den inneren Monologen in Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" von 1929).

Wohl jedes Buch, das nach dem Krieg in Deutschland erschien, transportiert ihn irgendwie mit - im Rühmen oder lauter Kritik, im Verschweigen oder geflissentlichem Vorbeireden. Das reicht bis zu jenem monströsen Elaborat eines Kriegsteilnehmers, das nicht aus literarischen, sondern politischen Gründen Karriere machte.

Es war nicht als Kriegsbuch gedacht, ist aber trotzdem eines - wenn es auch größtenteils nicht den Krieg an der Front behandelt, sondern den im eigenen Hirn oder gegen das eigene Volk unter dem Vorwand, es retten zu wollen. Man merkt es am Titel. Das Buch heißt "Mein Kampf".

Fotos: GA-Archiv (3), Picture Alliance

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