Kriegsgefangenschaft Starre Blicke

Handliche Kleinbildkameras haben den Fotografen in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts noch nicht zur Verfügung gestanden, das sieht man zahlreichen Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkrieges an.

 Die Überlebenschance in Gefangenschaft war größer als im Schützengraben.

Die Überlebenschance in Gefangenschaft war größer als im Schützengraben.

Foto: Picture Allilcance

Reportage-Aufnahmen, wie sie uns heute geläufig sind, haben Seltenheitswert; oft wirken die Aufnahmen statisch und gestellt - und sie waren es wohl auch. Das gilt für Bilder von russischen Kriegsgefangenen auf der Bonner Hofgartenwiese ebenso wie für solche von Kriegsversehrten, die in Bonner Werkstätten arbeiten.

Der Fotograf konnte sich stets der vollen Aufmerksamkeit seiner menschlichen Objekte sicher sein; oft schauen die Abgebildeten direkt in die Kamera. So auch auf diesem Foto von italienischen und englischen Kriegsgefangenen an der sogenannten Italienfront, entstanden um 1916. An die hundert Männer blicken den Betrachter an - ernst, unbewegt. Einige haben die Hand ans Kinn gelegt, einer zieht an einer Zigarette; mehr passiert nicht auf diesem Foto.

Schon nach einem Jahr lebten allein in Deutschland und Österreich-Ungarn rund zwei Millionen Kriegsgefangene. Oft wurden die Männer zu Erdarbeiten bei Bahn- und Brückenbauten, zum Räumen von Trümmern, zur Feldarbeit und für andere Schwerstarbeit eingesetzt. Während des gesamten Krieges ergaben sich etwa acht Millionen Soldaten den jeweils gegnerischen Streitkräften. Ihre Versorgungslage war oft schlecht - die allgemeine Nahrungsmittelknappheit traf natürlich auch die Lager.

Davon zeugt auch die zeitgenössische Propaganda, beispielsweise Grußkarten mit bunten Illustrationen, die in der Bevölkerung beliebt waren. Eine propere Germania hat da die Arme in die Seiten gestemmt, in der Rechten hält sie eine Suppenkelle.

Missbilligend blickt sie über die Schulter auf vier Gefangene, die ganz den nationalen Klischees entsprechend gekleidet sind und aus Holznäpfen löffeln: einen Belgier, einen Franzosen, einen Engländer und einen Russen. Germanias Empörung ist groß: "Dass ich diese Bande ooch noch füttern muss!"

Doch bei aller Unbill: Im Ersten Weltkrieg war die Überlebenschance in Kriegsgefangenschaft in der Regel größer als im Schützengraben.

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