Abschied mit 88 Jahren in Bonn Walter Ullrichs letzte Premiere als Schauspieler

Bonn · Der Intendant Walter Ullrichs steht in dem Stück „Kennen Sie die Milchstraße?“ noch einmal auf der Bühne des Kleinen Theaters.

 Manchmal hilft ein bisschen Wahnsinn: Walter Ullrich (links) und Leo Braune.

Manchmal hilft ein bisschen Wahnsinn: Walter Ullrich (links) und Leo Braune.

Foto: Friedhelm Schulz, Friedrichson-P

Mit diesem Kriegsheimkehrer-Drama begann im Januar 1959 die Erfolgsgeschichte des einige Wochen zuvor eröffneten und dann aus baupolizeilichen Gründen wieder geschlossenen Kleinen Theaters: Karl Wittlingers Tragikomödie „Kennen Sie die Milchstraße?“ war zu dieser Zeit eins der meistgespielten Stücke in der Bundesrepublik. Es blieb das einzige Bühnenwerk des mittlerweile so gut wie vergessenen Autors, das es überhaupt auf mehrere Inszenierungen brachte.

Intendant Walter Ullrich ist der „Milchstraße“ über 60 Jahre lang treu geblieben. Beim ersten Mal standen in seiner Regie noch sein Vater Kurt Ullrich und der bekannte Schauspieler Gerd Croll auf der Bühne, zeitweise dann Vater und Sohn, und ab 1994 nun also Leo Braune und Walter Ullrich. Mit dem silbernen Jubiläum dieser Besetzung geht jetzt eine Ära zu Ende: Am Sonntag fand die letzte Premiere unter der Intendanz des heute 88-jährigen Prinzipals Walter Ullrich statt.

Natürlich sind die Akteure des Zweipersonenstücks um ein Vierteljahrhundert gereift. Das Bühnenbild von Lutz Arkenberg erstrahlt aber frisch in leuchtendem Gelb, und dass man sich mit den Kostümen (Sylvia Rüger) nicht viel Mühe gegeben habe – das gehört halt schon zum Text. Denn das Ganze wird gespielt als angebliches Amateurtheater in einem Irrenhaus. Dorthin hat es Samuel Kiefer verschlagen, nachdem er im Zweiten Weltkrieg den Heldentod starb. Nicht so ganz, denn er überstand Gefangenschaft und weitere Gefahren, ist zwar statistisch tot, aber biologisch recht lebendig. Sein Mädel hat nach seinem urkundlich bestätigten Ableben einen anderen geheiratet, seine Ländereien hat die Dorfgemeinschaft gierig und gerecht unter sich aufgeteilt. Insofern war Samuels Tod durchaus gemeinnützig.

Biologisch tot, amtlich lebendig

Weil jedoch ein Mensch ohne Papiere bekanntlich nicht existiert, hat er den Pass eines gefallenen Fremdenlegionärs an sich genommen. Johannes Schwarz ist zweifellos biologisch tot, aber amtlich noch lebendig. Leider war seine Vergangenheit so, dass er von der Polizei steckbrieflich gesucht wird. So kommt es, dass der Patient Sam alias Johannes nächtens durchs Fenster (Türen sind ihm unheimlich geworden) den Stationsarzt aufsucht. Der war vor seinem Wechsel zur Psychiatrie nämlich Schauspieler. So liegt es nahe, den Anstaltsinsassen (also dem Theaterpublikum) die Wahnsinnsgeschichte einfach szenisch zu erzählen.

Leo Braune macht das brillant, immer mit einem koketten Augenzwinkern zur schmerzhaften Absurdität der Geschichte und spielerischer Distanz zu der echten Person, die anscheinend von einem fernen Stern in ein fremdes Dasein fiel. Walter Ullrich verkörpert in schnellen Rollenwechseln mit dem ganzen Arsenal von Perücken, Bärten und Dialekten alle anderen Figuren, vom verständnisvollen Doktor im weißen Kittel bis zum jovialen Bürokraten, vom Italiener, der wahlweise mit katholischen Devotionalien oder hochprozentigen Getränken handelt, bis zu Umberto, der mit seiner Motorrad-Show Kirmesbesuchern das prickelnde Vergnügen echter Lebensgefahr verkauft.

Sam kommt unter der Zirkuskuppel der himmlischen Milchstraße schon ziemlich nahe. Im irdischen Leben gibt es indes auch eine Milchstraße. Auf der wird ihn demnächst ein Freund begleiten. Denn der Doktor hat die Nase voll von der Klinik und deren Chef (als witzige Freud-Karikatur: Leo Braune). Mit ein bisschen Wahnsinn kann man auch im Diesseits nach den Sternen greifen. Es ist ja alles nur gespielt, allerdings von einem großartigen Schauspieler-Duo, das die Geschichte so berührend und humorvoll präsentiert, als sei sie gerade erst auf die Bühne geraten. Mit „seinem“ Paradestück hat Ullrich noch mal gezeigt, dass seine Theaterkunst große Spuren hinterlassen hat. Nicht nur auf der Milchstraße. Rührung bei allen Beteiligten wie beim Publikum und mindestens drei Sterne für die letzte Produktion des Hauses in dieser Konstellation.

Nächste Vorstellungen vom 10. bis zum 13. April jeweils um 20.00 Uhr, nach Ostern noch etliche weitere bis zum 7. Juni. Tickets unter Tel. (0228)36 28 39. Spielplaninfos unter www.kleinestheater-badgodesberg.de.

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