Walter Ullrichs letzte Rolle 60 Jahre Herr des Kleinen Theaters

Bad Godesberg · Am Donnerstag tritt Walter Ullrich zu seiner letzten Hauptrolle im Kleinen Theater an. Er spielt einen grantigen Alten in „Frühstück bei Monsieur Henri“.

 „Frühstück bei Monsieur Henri“: Eva Wiedemann und Walter Ullrich spielen die Hauptrollen. FOTO: FRIEDHELM SCHULZ

„Frühstück bei Monsieur Henri“: Eva Wiedemann und Walter Ullrich spielen die Hauptrollen. FOTO: FRIEDHELM SCHULZ

Foto: Friedhelm Schulz, Friedrichson-P

Zeitung lesend sitzt der grantige Alte (Walter Ullrich) in der Komödie „Frühstück bei Monsieur Henri“ von Ivan Calbérac am Kaffeetisch. Und dann stört ihn diese forsche Studentin (Eva Wiedemann) mit ihrem hartnäckigen Klingeln. Auf eine Annonce von Henris Sohn und Schwiegertochter (Wolf-Guido Grasenick und Isabella Nagy) will das junge Ding Henris freies Zimmer auf der Bühne des Kleinen Theaters mieten.

Der Alte wehrt sich mit Händen und Füßen: „Schuhe abputzen“, „Niemand rührt hier das Klavier an“ und „Keine Jungs und keine bescheuerten Eltern“ schleudert er der Aspirantin entgegen – und erkennt mit Staunen, dass auch die junge Frau nicht auf den Mund gefallen ist. Sie sei immer noch interessiert an diesem preiswerten Zimmer, auch wenn in ihm Kakerlaken herumkröchen, wie er behaupte, kontert sie. Dem Griesgram bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.

„Das ist doch eine herrliche Konstellation: Ein verbitterter Alter muss sich einem Menschen, der am Anfang des Lebens steht, öffnen“, schwärmt Walter Ullrich in einer Probenpause im GA-Gespräch. Auf der Suche nach seinem letzten Stück als Schauspieler in Bad Godesberg vor seinem Abschied vom Kleinen Theater im Sommer 2019 sei er auf diese Komödie gekommen, die 2015 mit Claude Brasseur wunderbar verfilmt wurde.

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„Ich bin natürlich nicht der Typ kleines Kerlchen wie Brasseur“, scherzt Ullrich. Aber ohnehin packe jeder seine Rolle anders an. Im karierten Holzfällerhemd lächelt der Vollblutschauspieler nun breit über den Tisch.

Eine beispiellose Karriere liegt hinter dem heute 87-Jährigen. Als Deutschlands dienstältesten Intendanten lobt man den in Mönchengladbach geborenen Sohn einer Theaterfamilie: Am 21. Oktober dieses Jahres hat Ullrich sein Kleines Theater 60 Jahre lang erfolgreich geleitet. Und seit 1979 das Schlosstheater Neuwied gleich dazu. „Mir hatte eine Wahrsagerin prophezeit, ich würde viel mit Papier beschäftigt sein“, erzählt Ullrich augenzwinkernd. Das sei dann ja auch genauso gekommen. „Drei Viertel meiner Zeit geht für Papierkram drauf“, seufzt der Maestro. Vergessen wird dann oft, dass Ullrich, seit er 15 war, auch ununterbrochen als Schauspieler auf der Bühne steht. Abgesehen davon, dass er schon als Dreijähriger in einer Rolle in „Madame Butterfly“ herzzerreißend zu weinen verstand – weil die Sängerin ihn immer so anschrie.

Dieser Mann liebt die Bretter, die die Welt bedeuten, und die dankbarsten Rollen seines Lebens: Jedermann, Nathan der Weise und Don Quichote. Aus dem Stand rezitiert Ullrich eine andere Lieblingsrolle, den Faust mit „Habe nun, ach“, und demonstriert dann, wie pathetisch auch er das am Anfang seiner Karriere deklamiert habe. Die Schauspielkunst entwickle sich weiter. „Was bleibt, ist, dass ich die klassischen Stücke konservativ spiele und inszeniere“, so Ullrich.

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Ein zwölffaches Gretchen, das auf der Bühne splitternackt seine Notdurft verrichte wie in einer Essener Inszenierung, das sei bei ihm nicht vorgekommen. Ullrich lacht. Und erklärt dann, wie er sich weiterhin „ein paar Tausend Textzeilen“ erarbeitet: Er nehme sie wie seit Jahrzehnten auf Kassette auf und feile an ihnen dann bei langen Autofahrten. „Also nicht wundern, wenn der Ullrich im Auto Selbstgespräche führt.“

Ach nein, mit seinem Abschied vom Kleinen Theater hänge er die Schauspielkunst noch lange nicht an den Nagel, antwortet der Mann, der auch in mehr als 120 Film- und Fernsehproduktionen sogar mit Richard Burton und Robert Mitchum spielte.

Auf der Neuwieder Bühne werde er 2019 den Großinquisitor in Friedrich Schillers „Don Carlos“ geben. „Den Text kann ich noch von unserer Inszenierung 1979 in den Kammerspielen“, berichtet Ullrich. Und dann legt er los mit der zentralen Szene. Im Kleinen Theater dröhnt donnernd ein „Steh ich vor dem König?“ durchs Foyer.

„Frühstück bei Monsieur Henri“: vom 27. September bis 21. Oktober in der Koblenzer Straße 78. Karten: 02 28/36 28 39

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