"Die Glasmenagerie" am Schauspiel Köln Polterabend bei den Wingfields

KÖLN · Normalerweise hört man bei den Wingfields die Wanduhr ticken. Denn Tennessee Williams' 1944 uraufgeführte "Glasmenagerie" ist das Drama des kläglich verläppernden Lebens.

 Fernweh: Lagerarbeiter Tom (Orlando Klaus) träumt von Reisen und Dichterruhm, was Amanda (Anja Lais) missfällt.

Fernweh: Lagerarbeiter Tom (Orlando Klaus) träumt von Reisen und Dichterruhm, was Amanda (Anja Lais) missfällt.

Foto: Then

Die einst umschwärmte, nach ihrem Ehe-Debakel verlassene Amanda nimmt nun ihren Sohn Tom als Ersatz-Ernährer in die Pflicht. Derweil zuckt Tochter Laura - leicht verkrüppelt, aber schwer verschüchtert - vor der garstigen Außenwelt zurück und staubt lieber ihre Glasfigürchen ab.

Auf der kleineren Expo-Bühne des Kölner Schauspiels hängt keine Wanduhr, sondern eine Discokugel. Hier schmettern Village People "In the Navy", wenn Tom von der Handelsmarine träumt, und Blondie singt mit Glasschneider-Sopran "Heart of Glass", wenn sich dann doch ein Verehrer zu Laura verirrt.

Überhaupt sind die leisen Momente nicht unbedingt Sebastian Kreyers Sache. Der talentierte Jungregisseur bittet vielmehr zum Polterabend bei den Wingfields. Die lässt Bühnenbildner Thomas Dreißigacker im Wohnwagen hausen und davor grellbunten Camping-Schrott ausbreiten - White Trash im Trailerpark.

Man pöbelt zu den Nachbarn über, rammt gern den Kopf ins Wagenblech, wechselt die schrillen Kostüme schneller als Lady Gaga. Plüschkappe und Hitlerbärtchen, Knallbonbonkleid und Uncle-Sam-Anzug. Christine Meyer wühlt mächtig im Fundus. Dazu rüpeln, kalauern und sächseln sich die Figuren über weite Strecken in einen Käfig voller Narren. Hier fliegen die Bestecke so tief, dass die Gabel im Haar der Souffleuse stecken bleibt.

"Glotzt nicht so romantisch", scheint Kreyer seinem Publikum zuzurufen, wenn er das vom Möchtegern-Dichter Tom erzählte Erinnerungs-Traumspiel unter szenischen Starkstrom setzt. So wird allerliebst gezuckt, während der Slapstick-Hammer jede Psychologie zertrümmert. Dabei sind alle Rollen- und Marottenwechsel präzis choreografiert, Kreyer hat seinen Castorf studiert.

Und er schiebt mit Anja Lais eine Schauspielerin an die Rampe, die das Schreckschraubengewinde virtuos überdreht: keifende Hysterikerin, kokette Verführerin, überfürsorgliches Muttertier - sie wechselt die Register rasant. Wenn mit Jim O'Connor der ersehnte Laura-Verehrer zum Essen kommt, schaltet Kreyer ein paar Gänge zurück.

Nun dürfen die Figuren atmen. So lässt Carlo Ljubek im selbstverliebten Hoffnungsträger auch den schon verblassten Highschool-Star aufschimmern. Doch sein Restglanz genügt, um Marie Rosa Tietjens Laura aus ihrer Angststarre zu erlösen.

Orlando Klaus schwankt als Tom derweil zwischen Freude für die Schwester und Lust auf deren Kavalier. Und Amanda? Wenn sie ohne Perücke dasteht, abgetakelt, müde, sieht man den Preis ihrer aufgekratzten Munterkeit.

Nun glotzt plötzlich der Regisseur sehr romantisch, doch so viel spätes Einfühlungsvermögen wird ihm bald wieder unheimlich. Als Jim nach Tanz und Kuss "seiner" Laura den Laufpass gibt, verwandelt sich die erotisch Erweckte prompt in eine groteske Krüppel-Karikatur. Wobei wir ihre seelische Erschütterung notfalls auch ohne drei Ausrufezeichen begriffen hätten.

So bleibt es insgesamt ein schwacher Trost, dass in diesem grellen "Glasmenagerie"-Scherbenhaufen einige Splitter sehr schön leuchten. Das Premierenpublikum reagierte begeistert.

Nächste Aufführungen 7., 28., 29.12., jeweils 19.30 Uhr. Gladbacher Wall 5. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort