Fringe-Ensemble Von Opfern und Tätern

BONN · Ein Stück, zwei Länder, drei Bühnen: Der Fokus auf internationale Produktionen ist zum Aushängeschild des Bonner Fringe-Ensembles geworden. Auch mit der neuen Produktion "Niemands Land / Ziemia Niczyja" überschreitet die Gruppe um Regisseur Frank Heuel bewusst Grenzen, testet ungewöhnliche Konzepte aus und kreiert Theater jenseits der gewohnten klassischen Bühnenerfahrung.

Ideologien, Kriege, Vorurteile: Szene aus "Niemands Land / Ziemia Niczyja".

Ideologien, Kriege, Vorurteile: Szene aus "Niemands Land / Ziemia Niczyja".

Foto: Ralf Emmerich

Das deutsch-polnische Stück, das gerade im Pumpenhaus Münster seine Uraufführung feiern konnte, morgen im Bonner Theater im Ballsaal Premiere hat und im Januar in Warschau zu sehen sein wird, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Bonner Dramatiker Lothar Kittstein und der jungen, aufstrebenden Autorin Julia Holewinska, die in vier Einaktern das besondere Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und seinem östlichen Nachbarn thematisieren.

Meistens geht es dabei um Opfer im weitesten Sinne: Opfer von Ideologien, von Kriegen, von Vorurteilen. Vergangenheitsbewältigung und -diskurs werden dabei groß geschrieben, ob nun ein Nazi-Scherge einen Verfolgten trifft, zwei Frauen sich über die Geschichten ihrer Großmütter näherkommen oder es in dem laut Heuel zentralen, von allen fünf Ensemblemitgliedern gesprochenen Monolog um ein 13-jähriges Mädchen geht, das sich während des Zweiten Weltkriegs in einem Schrank vor der Wehrmacht versteckt. Doch gleichzeitig strahlen die Szenen in die Gegenwart, verschmelzen mit dieser, werden zeitlos und zugleich zeitgemäß.

Regisseur Heuel hat das von ihm in Auftrag gegebene Stück, das er als Weiterentwicklung des von vier Autoren verschiedener Nationalitäten geschriebenen Familiendramas "Finnland" versteht, in Koproduktion mit dem Münsteraner Label phoenix5 und dem Teatr Powszechny in Warschau realisiert.

"Es war eine sehr spannende Arbeit, vor allem da die beiden polnischen Schauspieler eher einen traditionelleren, psychologisch geführten Stil pflegten. Aber sie waren unglaublich offen für unseren Ansatz", erzählt Heuel.

In Polen bestehe ohnehin ein enormes Interesse an neuen Texten und Impulsen, so dass das Zusammenspiel mit den deutschen Kollegen sofort gut funktioniert habe. Und wie ist die Integration der verschiedenen Sprachebenen gelöst worden? Unterschiedlich, erklärt Heuel. In der Regel würde man alles verstehen, in einem Einakter lasse er aber noch Übersetzungen an die Wand projizieren.

Das Publikum muss sich jetzt nur noch darauf einlassen. Das scheint allerdings zu funktionieren: In Münster ist das Zwei-Stunden-Stück gut angekommen, das Pumpenhaus war fast ausverkauft. In Bonn kann man nicht weniger erwarten.

Termine: 5. Dezember (Premiere), 6. bis 8. Dezember. Karten: 0228/797901.

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