Kommentar Die Regierungserklärung der Kanzlerin - Merkels Leerstellen

Aller guten Dinge sind drei? Angela Merkels Regierungserklärung zur Vorstellung des Vierjahresplans ihrer dritten Koalition stützt dieses Sprichwort jedenfalls nicht.

Anders gesagt: Man muss kein Gegner der christdemokratische Bundeskanzlerin sein, um diese Vorstellung uninspiriert, schlecht, ja ärgerlich zu finden. Zugegeben: Die Kanzlerin kann in einer derartigen Rede nur vortragen, was die Koalitionsparteien in ihrem - überlangen - Koalitionsvertrag festgelegt haben.

Insofern ähnelt das Unternehmen ein wenig der Thronrede der britischen Königin. Aber ein bisschen mehr Geist, ein bisschen mehr Originalität, ein bisschen mehr roten Faden hätte man sich doch wünschen dürfen - und es wäre erlaubt gewesen. Ein Motto, einen Leitgedanken findet man in der Rede schwerlich.

Es sei denn, Merkel habe den Satz "Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns" als solchen betrachtet. Er ist in seiner Allgemeinheit so banal, dass die Kabarettisten ihre helle Freude daran haben werden. Merkels Bekenntnis, dieser Gedanke leite sie seit Beginn ihrer Kanzlerschaft, macht alles nur noch schlimmer. "Anders wäre auch schlecht", hätte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zu Recht geantwortet.

Also: Der Mensch steht im Mittelpunkt,und was darf er nicht, wenn alles weiter gut bleiben soll (wie es das nach Merkels Meinung ist)? Richtig: Er darf die Hände nicht in den Schoß legen. Es fällt wirklich schwer, solche Gemeinplätze ernst zu nehmen. Das gilt auch für den zum Mindestlohn: "Niemand, der ein Herz hat, ist deshalb schnell bei der Hand damit, das Instrument eines Mindestlohns rundweg abzulehnen."

Ist schon eine Kunst, so viele Relativierungen in einem Satz unterzubringen - und immer noch zu konkret. Denn Merkel ergänzt: "Doch jeder, der ein Herz hat, muss genauso sicherstellen, dass der so nachvollziehbare Wunsch nach würdiger Bezahlung nicht Menschen, die heute Arbeit haben, in die Arbeitslosigkeit führt." Wie aus beiden Sätzen praktische Politik werden soll, wie viel Streit in der Koalition das noch auslöst, wird mit Aufmerksamkeit zu beobachten sein.

Ärgerlich war die Rede dort, wo sie Konkretes versprach, wohl wissend, dass es so nicht kommen wird. Beispiel Finanzmarkt. "Wer ein Risiko eingeht, der haftet auch für die Verluste", sagt die Kanzlerin. Schön wär´s. Das stimmt aktuell nicht und das wird - wenn man die europäische Entwicklung sieht - auch nie stimmen.

Beispiel Energiewende. Sie verkauft Merkel als künftigen Exportschlager - wenn sie gelinge. Genau: Das ist das Problem, und das muss praktische Koalitionspolitik lösen. Schließlich die Rente mit 63. Merkel lässt Kritik, auch die von Gerhard Schröder, an sich abperlen. Doch der hat Recht, wenn er fragt: Wer soll das bezahlen? Aber bis dahin, bis zum Zahltag, ist diese Legislatur längst vorbei.

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