Landtagswahl Bayerische Zeitenwende

München · Die Landtagswahl in Bayern wirbelt die Politik im Freistaat kräftig durcheinander. Die jahrzehntelang dominierende CSU büßt zweistellig ein, verliert ihre absolute Mehrheit und muss sich nun einen Koalitionspartner suchen.

 Markus Söder (l, CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt zur Wahlparty der CSU in den Landtag und spricht zu den Anhängern. Rechts neben ihm steht Markus Blume, Generalsekretär der CSU.

Markus Söder (l, CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt zur Wahlparty der CSU in den Landtag und spricht zu den Anhängern. Rechts neben ihm steht Markus Blume, Generalsekretär der CSU.

Foto: dpa

Ein drohendes Wahldebakel kann zu bemerkenswerten Umdekorationen führen. Drei Stunden vor dem Schließen der Wahllokale hängt im CSU-Fraktionssaal im bayerischen Landtag noch ein Kreuz neben der Bühne. Als der Wahlabend dann startet, ist es abgehängt. Denn Spitzenkandidat und Ministerpräsident Markus Söder wird gleich versprechen, das schmerzhafte Wahlergebnis in Demut anzunehmen und zu analysieren, ob es gesellschaftliche Veränderungen in Bayern gegeben habe. Dabei wird er am Thema Kreuze nicht vorbeikommen.

Nur 34 Prozent der Wähler fanden seine Idee gut, Kreuze in allen öffentlichen Gebäuden aufzuhängen. 55 Prozent hingegen waren mit dem Kreuz-Erlass nicht einverstanden. Das Kreuz kann also auch ein Grund dafür gewesen sein, warum die CSU ihre absolute Mehrheit verloren hat. Die Schuldzuweisungen sind in München in der Hauptsache aber eindeutig und sie gehen mit den Zeigefingern beider Hände nach Berlin.

Die Schuldzuweisungen sind in München in der Hauptsache aber eindeutig und sie gehen mit den Zeigefingern beider Hände nach Berlin. Einerseits sei es der Streit zwischen CDU und CSU gewesen, der viele traditionelle Unionssympathisanten abgestoßen habe. Andererseits leide die CSU unter einer schwachen CDU. Ein Abgeordneter zieht zum Beleg sofort eine Grafik aus der Tasche und zeigt im Kurvenverlauf, dass die CSU bislang stets sechs oder sieben Prozentpunkte über den Werten der Union auf Bundesebene gelegen habe. Wenn es nun am Ende sogar neun seien, sehe die Bewertung der CSU-Werte schon anders aus.

Aus Münchner Sicht hat es der arme Söder in so wenigen Monaten als Ministerpräsident nicht schaffen können, sich vollständig vom Bundestrend abzukoppeln. Die Verantwortung wird also an CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer abgeschoben. Söder will lieber schnell in die Zukunft schauen und lässt sich von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer bereits wenige Minuten nach Schließen der Wahllokale als Ministerpräsident für die neue Wahlperiode nominieren. Der Partei- und der Fraktionsvorstand der CSU würden, so die allgemeine Erwartung, den Regierungsauftrag unter Söder an diesem Montag bekräftigen.

Dem stimmt am Abend auch Seehofer zu. Ihm schallen jedoch zugleich die ersten Rücktrittsforderungen aus den bayerischen Wahlkreisen entgegen. Und der CSU-Politiker Peter Ramsauer sagt voraus: "Eine Führungsdebatte wird sich gar nicht vermeiden lassen." Das sei ein derart verheerendes Ergebnis für die CSU, das durch "nichts, aber auch gar nichts zu relativieren sei".

Die Gänge im Münchner Landtag sind verwinkelt und eng. So kommt es zwischen den Fraktionsräumen zu einem ersten Kontakt zwischen Söder und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Weil sowohl CSU als auch Freie Wähler einige Prozentpunkte mehr bekommen konnten, als in den letzten Umfragen vorhergesagt, kann es für eine schmale Mehrheit reichen. Er werde "machbare Vorschläge" entwickeln, kündigt Aiwanger an, und Söder verspricht ihm, ihn gleich am Montag anzurufen.

Söder achtet sorgfältig auf die Bilder, die von der Wahlniederlage entstehen. Bevor er die Bühne betritt, lässt er knapp zwei Dutzend Abgeordnete und Wahlkämpfer auflaufen, die sich hinter ihn stellen. So signalisiert er, wo er und wo die Partei auch an diesem bitteren Abend stehen. Genau dieses Bild wählt auch Natascha Kohnen, die SPD-Spitzenkandidatin, die das Ergebnis der ohnehin schwachen bayerischen Sozialdemokratie noch einmal halbiert hat. Auch ihre Finger weisen Richtung Bundespolitik. "Wir dürfen nie wieder halbe Wege gehen, sondern nur ganze", sagt sie. Möglich, dass das Beben nach den Wahlen in Bayern in Berlin größer sein wird als in München.

Die sozialdemokratische Dekoration ist ein Menetekel: Dunkles Rot strahlt die Wände im SPD-Fraktionssaal schummrig, fast Untergang suggerierend, von unten an. Bei den Grünen das Gegenteil. Sie haben sich verdoppelt. Gleißendes weißes und grünes Licht strahlt von oben auf eine jubelnde Menge. "In ganz Bayern" würden in diesen Stunden die Grünen ihren einzigartigen Erfolg feiern, verkündet Spitzenkandidatin Katharina Schulze. Sie seien für ihre Einstellung honoriert worden, für neuen Mut zur Problemlösung zu stehen und nicht dafür, stets neue Probleme zu schaffen. "Dieses Landtagswahlergebnis hat Bayern jetzt schon verändert", ruft sie in den Saal.

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