Landtagswahl in Bayern Schäuble zählt Merkel an

München · Auch wenn die Wähler im Freistaat zuallererst "nur" über die Zusammensetzung ihres Landtags abgestimmt haben, ist eines klar: Die Folgen könnten gewaltig sein. Nicht nur in München, nicht nur für die CSU.

 Mögliche Nachfolgerin? Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der CDU, kommentiert die Landtagswahl in Bayern.

Mögliche Nachfolgerin? Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der CDU, kommentiert die Landtagswahl in Bayern.

Foto: dpa

Der Kampf um die Deutungshoheit der Landtagswahlen in Bayern ist in der Union ausgebrochen, bevor der erste Wähler in Bayern seine Stimme abgeben konnte. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der in der Regierungskrise im Juni der Kanzlerin noch gegen die CSU und die Gegner in den eigenen Reihen mit einer Brandrede in der Fraktion für Europa den Rücken gestärkt hatte, zählte die Kanzlerin nun an.

Mit Blick auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sagte er bundespolitische Folgen voraus und attestierte Merkel zugleich "gewisse Schwierigkeiten". In der italienischen Zeitung "Repubblica" betonte er Merkels "außergewöhnlich lange und erfolgreiche" Regierungszeit. Zugleich sagte er: "Aber in menschlichen Systemen hat immer alles seine Zeit. Irgendwann treten dann gewisse Ermüdungseffekte ein."

Zufällig sind dem alten Polit-Profi Schäuble diese Worte nicht entglitten. Zumal er auch im SWR eine ähnliche Botschaft setzte. Dort sagte er unionsinterne Debatten nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen voraus. In Bayern sei ein Ergebnis zu erwarten, das "in den Parteien entsprechende Diskussionen und Erschütterungen" mit sich bringe, betonte Schäuble.

Zwischenüberschrift

Es sind doppelte Botschaften, die Schäuble an diesem Wochenende setzte. Einerseits erklärt er seine Erwartungshaltung nach neuen Debatten in der Union, was nicht nur Merkels Gegner als Aufforderung auffassen müssen, die Parteichefin infrage zu stellen. Zugleich warnt er ihre Gegner, sich die Sache zu einfach vorzustellen. Sollte Merkel im Dezember erneut als Parteivorsitzende antreten, werde sie voraussichtlich wiedergewählt, betont Schäuble auch. Die Kanzlerin verfüge immer noch über hohe Zustimmungswerte, um die sie die meisten anderen Regierungschefs in europäischen Ländern beneideten. Schäubles Botschaft ist so ambivalent, wie sich sein Verhältnis zu Merkel seit vielen Jahren gestaltet. Er schätzt sie, und er verachtet sie. Er stützt sie, und er lässt sie wackeln. Er folgt ihr, und erweckt auch mit 76 Jahren noch den Eindruck, er könne sie ersetzen.

Die Kernbotschaft seiner Interviews vom Wochenende lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass er jedenfalls nicht mehr im Wege stehen wird, wenn die Union das Ende der Ära Merkel einläuten möchte. Das ist bemerkenswert: Hatte er sie doch zur vierten Amtszeit ermuntert. In jedem Fall zutreffend dürfte Schäubles Vorhersage sein, dass die eigentliche Debatte um die Union, um das Verhältnis von CDU und CSU sowie um Merkels Zukunft erst nach den Wahlen in Hessen am 28. Oktober offen ausbrechen wird.

Für diese Debatte beugte auch schon einmal Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier vor. Seine CDU in Hessen stand in den Umfragen zuletzt bei 28 Prozent, nachdem sie 2013 noch auf mehr als 38 Prozent gekommen war. Für das schlechte Erscheinungsbild der Union macht Bouffier die Schwester in Bayern verantwortlich. "Man kann nicht über Monate den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinandergeht und die Regierung nicht handlungsfähig ist, und dann erwarten, dass die Leute der Union vertrauen", sagte Bouffier der "Welt". Wie er denken auch viele CDU-Leute in Berlin, selbst jene, die den Kurs der Kanzlerin kritisch sehen.

Keine ruhige Sacharbeit

Mit seinem Fingerzeig nach Bayern erklärt Bouffier vorab sein eigenes, voraussichtlich schlechtes, Abschneiden bei den Landtagswahlen in zwei Wochen. Zugleich begründet er die bundesweit schlechten Umfragen für die Union mit den Störfeuern aus Bayern. So wird auch die Debatte um Merkels Zukunft mit davon abhängen, was in den nächsten Tagen in der CSU passiert. Sollte die CSU ihren Parteichef Horst Seehofer stürzen, könnte das Merkel stabilisieren. Er hat seit der Flüchtlingskrise 2015 jede Gelegenheit genutzt, ihr publikumswirksam zu widersprechen und sie öffentlich zu demütigen. Merkels Autoritätsverlust im In- und Ausland geht zu einem erheblichen Teil auf das Agieren von Seehofer zurück.

Seit Beginn Merkels vierter Amtszeit wird immer wieder offensichtlich, dass die Regierung zu keiner ruhigen Sacharbeit finden kann, so lange Merkel und Seehofer gemeinsam am Kabinettstisch sitzen. Ob die CSU ihr diesen Gefallen erweist und Seehofer vom Hof jagt, ist ungewiss. Ein Abgang Seehofers ist aber auch noch kein Garant dafür, dass die CDU Merkel noch einmal sicher zur Parteichefin wählt. Sollte Bouffier in Hessen verlieren, bricht ihr ein zentraler Unterstützer in der CDU-Führung weg. Der Vizeparteichef wurde in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Richtungsgeber im Präsidium. Wenn er sprach, wurde nicht auf den Smartphones getippt. Sein Wort hat Gewicht. Er wird als ausgleichend wahrgenommen.

Heikle Lage

Mit einer Schwächung Bouffiers verlöre auch ein Merkel stabilisierender Faktor an Einfluss in der CDU-Spitze. Zusammengenommen mit der Ermunterung durch Schäuble zur Diskussion in der Union könnte die Nachfolgedebatte zur offenen Feldschlacht werden. Merkel hätte eben niemanden mehr wie Schäuble oder Bouffier, die wirksam ein Ende der Debatte fordern könnten oder wollten.

Für Merkel wäre es eine heikle Lage. Sie hat immer betont, dass Kanzleramt und Parteivorsitz in eine Hand gehören. Aus dieser Logik heraus wären auch ihre Tage als Kanzlerin gezählt, wenn sich im Kampf um den Parteivorsitz Jens Spahn, Armin Laschet oder Annegret Kramp-Karrenbauer durchsetzten. Mit ihrem Kritiker Spahn als Parteichef könnte sie keinesfalls weiterregieren. Mit Vertrauten, die ihre Politik nach innen und nach außen vertreten wie Laschet oder Kramp-Karrenbauer ginge das eher.

Ein Szenario, an dessen Ende ein neuer CDU-Parteichef oder eine neue CDU-Parteichefin stehen wird, ist nicht trivial. Wenn es kein Überraschungskommando beim Parteitag werden soll, bedarf es einer relevanten Gruppe innerhalb der Partei, die einen Kandidaten oder eine Kandidatin ausguckt. Und dann müsste es jemand der Chefin erklären, damit sie nicht wieder antritt. Auch diese Botschaft steckte in Schäubles Interviews vom Wochenende.

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