Dürfen Jäger im deutschen Wald rauchen?

In Bonn gibt Regisseur Andr s Fricsay bei Webers "Freischütz" seiner Neigung zu Späßchen nach

Magische Bilder  für eine Inszenierung mit Ulknummern: Szene aus dem Bonner Freischütz".

Magische Bilder für eine Inszenierung mit Ulknummern: Szene aus dem Bonner Freischütz".

Foto: Thilo Beu

Bonn. Das Leben hat halt viele Rätsel für uns parat, besonders, wenn man in der Bonner Oper den "Freischütz" besucht. Dirigiert ein Kapellmeister den Jägerchor besser, wenn er dazu einen Seppelhut mit hübschen Federn auf dem Kopf hat? Hat Kaspar, der böse Bursche, zwecks Kampfvorbereitung heimlich einen Kompaktkurs bei tibetischen Mönchen besucht? Kannte Carl Maria von Weber den Wolpertinger? Wenn ja: Darf man Wolpertinger abknallen? Sind Eremiten in der Regel ausgehungert? Neigen sie dazu, sich aufs nächstbeste kalte Büffet zu stürzen? Dürfen Jäger im deutschen Wald rauchen? Gewöhnt sich der deutsche Jäger das Rauchen ab, weil die Zigaretten zu teuer sind?

Das alles sind Fragen, die außer dem Regisseur Andr s Fricsay kaum jemand zuvor zu stellen gewagt hatte; Fragen freilich, deren Beantwortung die Welt auch nicht zwingend braucht. Und damit stellt sich ein bisschen die Frage, ob die Operngeschichte diese Inszenierung braucht.

Man kennt das: Am "Freischütz" kann sich die Regie schon mal austoben. Die märchenhafte Fabel vom Jägerburschen Max, der sich sein Glück mit der geliebten Agathe per Wolfsschlucht und Freikugel erkaufen will und von einem Eremiten auf Bewährung in die Freiheit entlassen wird, steckt voller Hintergründigkeiten zwischen Glauben und Aberglauben. Männerstolz, Jungfräulichkeitswahn und Obrigkeitshörigkeit gehen eine unselige Verbindung ein. Christof Nel zeigte in Frankfurt beispielsweise eine Gesellschaft, die mit ihren Zwängen Neurotiker produziert, Ruth Berghaus stellte in Zürich Verunsicherte und Verstörte in Nachkriegszeiten auf die Bühne. In Bonn gibt`s eine Ulknummer.

Der Hang des Andr s Fricsay zu Späßchen produziert im "Freischütz" nicht viel Vergnügen. Fricsay, der Personen gescheit führen, der Chöre interessant choreographieren kann - auch das ist im "Freischütz" in Ansätzen zu besichtigen - stellt sich ein ums andere Mal selbst ein Bein, stolpert in die eigene Jux-Falle und bleibt die Antwort auf die vielleicht wichtigere Frage schuldig: Was wollte er eigentlich inszenieren? Nichts Schreckliches auf jeden Fall, denn selbst die Wolfsschlucht wird zum putzigen Mummenschanz mit tanzenden Skeletten. Johannes Leiacker hat dazu wieder einen seiner magischen Bühnenräume gebaut, in dem sich halt das falsche Stück abspielt.

Die Devise: Augen zu und durch ist nicht unbedingt das richtige Rezept für einen Opernbesuch. Gleichwohl ist der Bonner "Freischütz" in weiten Teilen höchst hörenswert, was zunächst einmal am Orchester der Beethovenhalle und vor allem am Dirigenten Anton Zapf liegt. In Bonn ist man mit der Weber-Oper ja nicht verwöhnt worden; Jahre zuvor hat der damalige Generalmusikdirektor Dennis Russell Davies im Haus am Boeselagerhof die wahrscheinlich ulkigsten Tempi der "Freischütz"-Geschichte angeschlagen. Jetzt fasziniert Zapf rundum: mit Sinn für Proportionen, für Spannungsaufbau, mit Gespür auch für die Kolorierungskunst, die Weber in dieser Partitur entwickelt.

Über ein Problem kann allerdings auch Zapf nicht hinwegdirigieren: Louis Gentile als Max ist nicht gerade eine Idealbesetzung. Die Stimme wirkt eng, hat wenig Entfaltungspotenzial und kaum Schattierungsreichtum. Das fallt umso mehr auf, als drumherum ganz Vorzügliches zu hören ist: Gisela Stille (Ännchen) mit Liebreiz im Sopran, Franz-Josef Kapellmann (Kaspar) mit der gewohnten darstellerischen und vokalen Präsenz, Georg Zeppenfeld (Eremit) mit Bass-Balsam und Kraft. Axel Mendrok, Carlos Krause, Reuben Willcox und ein bestens aufgelegter Chor ergänzen das Stimmen-Bild.

Dominiert und überstrahlt wird - nicht unerwartet - die Aufführung indes von Anja Harteros: Ihre Agathe ist ein Musterbeispiel an perfekter Gesangslinie, an geradezu anrührender Innerlichkeit. Da ist man plötzlich ganz nah bei Carl Maria von Weber. Immerhin.

Die nächsten Aufführungen: 1., 8. und 24. Februar.

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