Die Lust zur Attacke ist die halbe Miete

Klassische Philharmonie Bonn in der ausverkauften Beethovenhalle

Bonn. Zu den musikalischen Hausgöttern der Klassischen Philharmonie Bonn gehört Jean Sibelius wahrlich nicht. Von der "Wiener Klassik" ist dieser Spätromantiker denkbar weit entfernt. Zudem haftet dem finnischen Landarztsohn spätestens seit Adornos gehässiger "Glosse über Sibelius" (1938) der Ruf des Seichten, des Reaktionären und Epigonenhaften an. Wie falsch dieses Urteil ist, wurde jetzt bei der formidablen Aufführung seines Violinkonzerts d-Moll deutlich, die im Mittelpunkt des "Wiener Klassik"-Abends in der ausverkauften Beethovenhalle stand.

Der junge russische Geiger Dmitrij Mischelowitch ließ, präsent vom ersten Abstrich an, den Solopart vor Kälte geradezu flirren. Die technischen Details: die klangvollen Doppelgriffe, die sicheren Flageoletts, die leuchtenden Passagen waren beachtlich. Noch beachtlicher aber war die Tiefe des Ausdrucks, die Mischelowitch dieser Musik zutraute, auch wenn das unter Heribert Beissel eher plakativ aufspielende Orchester bei Feinschliff und Eleganz nicht mithalten konnte. Am schlüssigsten wirkte das Zusammenspiel daher im fordernden, grellen Finale, einem Totentanz, in dem sich das "Zeitalter der Nervosität" gleichsam musikalisch verdichtet.

Ebendieser Epoche gehört auch Dvoraks Sinfonie Nr. 9 ("Aus der Neuen Welt") an. Und doch wirkt dieses Werk in vielem unaufgeregter, selbstverständlicher, mithin amerikanischer. Die Klassische Philharmonie präsentierte sich einmal mehr als junges, frisch und temperamentvoll aufspielendes Orchester. Denn die Lust zur Attacke ist bei Dvorak ja schon die halbe Miete. Die andere Hälfte besorgt das Sentiment. Beissel vermied freilich alle Überschwemmungen, achtete auf Distanz und integrierte Blech und Streicher in einem runden Gesamtklang.

Und die "Wiener Klassik"? Auch sie kam zu ihrem Recht, wenn auch nur am Rande in Form von Beethovens dritter Leonoren-Ouvertüre op. 72a. Wir hörten sie in einer abgewogenen Interpretation. Eine gewisse Oberflächlichkeit war nicht zu überhören. Trompetenpatzer fielen da kaum ins Gewicht. Das wankende Tempo indes hätte die Tuttischläge des Finales beinahe zum Stolpern gebracht. Überhaupt fehlte es dem Schluss zwar nicht an Kraft und Vehemenz, wohl aber an Esprit.

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