"Wir spielen in erster Linie fürs Publikum"

Deutschlands dienstältester Intendant, Walter Ullrich, wird 70 - Er gründete das Kleine Theater Bad Godesberg

Bad Godesberg. Der Franzose Eric-Emmanuel Schmitt ist ein hoch gehandelter und vielgespielter Bühnenautor; sein Theaterstück "Enigma", Variationen über Schönheit und Schwierigkeit der Liebe, wurde dem Schriftsteller sozusagen aus der Hand gerissen. Für Bonn sicherte sich Walter Ullrich, der Intendant des Kleinen Theaters Bad Godesberg, die Aufführung. Das überrascht nicht, denn Ullrich ist ein Theatermann mit Gespür für Stücke, die beim Publikum ankommen. Heute wird er 70 Jahre alt. In "Enigma" hat Ullrich selbst die Hauptrolle gespielt, einen alternden Schriftsteller, der sich selbst betrügt, dem Liebe nur aus der Distanz möglich erscheint. Es war eine sehr eindrückliche Vorstellung mit einem sehr nachdenklichen Ullrich. Man konnte gleichsam in die Rolle schauen, konnte zusehen, wie die Maske des Erfolgs-Literaten fällt, wie dahinter Angst und Verzweiflung und Einsamkeit sichtbar werden.

Das ist das Faszinierende an Ullrich: seine Dreifach-Begabung - Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter. Und von den Theatern hat er seit langer Zeit schon zwei. Zum Kleinen Theater, das er 1958 in Bonn als Zimmertheater gründete und das 1970 in sein neues Domizil, das ehemalige Bürgermeisterhaus am Godesberger Stadtpark umzog, kam 1979 das Landestheater Rheinland-Pfalz in Neuwied hinzu. 43 Jahre in Bad Godesberg, 22 Jahre in Neuwied: Ullrich ist der dienstälteste Theaterintendant der Bundesrepublik. Das erreicht man nicht so beiläufig, das braucht Courage, Können und Engagement - von allem hat Walter Ullrich reichlich.

Der Bühnen-Rekordhalter Ullrich, geboren in Mönchengladbach, kommt aus einer Theaterfamilie. Und wie das so ist: Er stand schon als Knäblein auf der Bühne, gelegentlich auch in einer Mädchenrolle. Beispielsweise in Walter Kollos Revue "Drei arme kleine Mädels", die das Kurtheater Bad Liebenstein auf seinen Spielplan gesetzt hatte. Der örtliche Kritiker hatte das Zeug zum Propheten: "Walter Ullrich war es, der uns zum ersten Mal auf den Brettern, die vielleicht einst auch für ihn die Welt bedeuten, begegnete als kleine Beate. Wer möchte es wohl leugnen, dass Klein-Walter nicht zuletzt durch sein allerliebstes Spiel die Herzen aller gewonnen hätte." Die Herzen der Bonner hat Ullrich längst gewonnen, sein Theater ist eine Institution.

Bei der Gründung der eigenen Bühne sind Ullrich gewiss vielerlei Erfahrungen zugute gekommen; nach dem Krieg hatte er Engagements in Halberstadt, Lüdenscheid, Hagen, Wuppertal, Aachen. Ullrich weiß gut zu erzählen von den Anfängerjahren in Halberstadt: "Wir haben damals alles gemacht, Bühnenbilder gezimmert, beleuchtet, souffliert, inspiziert, Karten abgerissen, Programmhefte verkauft. Wir waren so froh, dass der Krieg vorbei war und wir überlebt hatten."

Eine harte Schule für zukünftige Theaterleiter. Das Wissen auch um die kleinsten Dinge des Theaters - das ist die eine Zutat zum Erfolgsrezept des Intendanten Walter Ullrich. Die andere verrät er gern selbst: "Wir spielen in erster Linie fürs Publikum." Was nicht bedeutet, dass man das Publikum unterschätzt. Gerade in den 60er Jahren beispielsweise hatte das Zeitstück bei Ullrich Konjunktur. Aber die Zumutungen eines vermeintlichen Regietheaters, die Massakrierung von Stücken, hat es im Kleinen Theater nie gegeben. Dafür eine Parade der Stars, viele davon aus der alten Ufa-Garde: Albrecht Schoenhals, Inge Werner, Marika Rökk, Lil Dagover, Camilla Horn, Lilian Harvey, Carola Höhn. Heute mögen beispielsweise Heide Keller oder Hans-Jürgen Bäumler die gute Arbeitsatmosphäre des Hauses.

Ullrichs Kleines Theater offeriert eine Mischung aus Klassik und Komödie, aus Boulevard, Operette und Musical. Und es bietet seinem Zuschauer eine schöne Gewissheit: Der Theaterabend dauert in der Regel nie länger als zweieinhalb Stunden. Man beherrscht das Einkürzen von Klassikern meisterlich. Das wird auch wieder so sein, wenn Ende Februar Lessings "Nathan" auf die Bühne kommt. In der Hauptrolle selbstverständlich: Walter Ullrich.

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