Chaostage in Berlin Burghart Klaußner liest in Bonn aus Debütroman

Burghart Klaußner liest im Bonner Schauspielhaus aus seinem Debütroman „Vor dem Anfang“: Eine Momentaufnahme aus den letzten Stunden des Krieges in Berlin

 Romandebüt mit 69: Burghart Klaußner bei der Buchmesse. FOTO: DPA

Romandebüt mit 69: Burghart Klaußner bei der Buchmesse. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Andreas Arnol

Jetzt schreibt er auch noch! Burghart Klaußner, der brillante Charakterschauspieler („Elser“, „Terror“, „Das weiße Band“, „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“), außerdem Theaterregisseur, Dramatiker, Hörbuchsprecher und gelegentlicher Sänger hat nun seinen Romanerstling vorgelegt. „Vor dem Anfang“ heißt er, ein schmaler Band, der im flotten Staccato-Stil mit knappen Sätzen, sehr präzisen und eindrücklichen Bildern sowie einer – trotz des ernsten Themas – bemerkenswerten Leichtigkeit die Stimmung der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs skizziert. Eine außergewöhnliche Momentaufnahme, ein wenig mehr als ein paar Stunden umfassendes Schlaglicht mit geschickt in der Art von Traumsequenzen oder Erinnerungssplitter eingeworfenen Rückblenden und biografischen Exkursen.

Es ist eine verrückte Zeit, die der 1949 in Berlin geborene Autor mit einer spontanen Frische einfängt, als sei er selbst dabei gewesen. Alles ist in Auflösung, alles zerfällt. Das Dritte Reich wird kurz vor dem Zusammenbruch zur Bühne für ein absurdes Theaterstück mit tragikomischen Zügen. Witzig und lebensgefährlich zugleich. Ein Leben zählt nicht viel, die Nervosität ist groß. Während die Stalinorgeln über den Großen Wannsee pfeifen und russische Scharfschützen auf versprengte deutsche Volkssturm-Einheiten zielen, gibt es immer noch schneidige deutsche Offiziere, die große Stücke auf Zucht und Ordnung geben und jeden beim geringsten Verdacht auf Desertion erschießen würden.

Die beiden Männer Fritz (36) und Schultz (42), die sich mehr oder weniger geschickt um den Fronteinsatz gedrückt haben, bekommen den absurd anmutenden Auftrag, sich von der Versuchsanstalt der Luftwaffe am Flugplatz Johannisthal im Südosten der Stadt, aus der sich schon fast alle Soldaten abgesetzt haben, zum Reichsluftfahrtministerium in Berlin-Mitte durchzuschlagen, um dort eine Geldkassette abzugeben. „Der Russe kann jeden Moment hier sein“, sagt der wachhabende Feldwebel.

Das tote Liebespaar

Mit Fahrrädern machen sie sich auf den Weg durch die zerbombte, brennende, verkohlte Stadt. Vorbei an Leichen, zerschossenen Fahrzeugen und Häusern, Kontrollposten, an denen dienstbeflissene Soldaten blanke Willkür üben. „Am Sophie-Charlotte-Platz standen merkwürdigerweise ein Tisch und ein Sofa“, schreibt Klaußner, „Ein Mann und eine Frau saßen drauf. Ihre Köpfe waren nach vorne gefallen. Sie waren tot. Beim Vorbeifahren sah Fritz, dass sie einander an den Händen hielten.“ Fritz und Schultz müssen beim Bombenalarm in den Luftschutzbunker, mit anderen Menschen um ihr Leben rennen und im Gedröhn der Bomben ausharren. Klaußner lässt Fritz in tiefster Todesangst im Keller vom Segeln träumen. „In Gedanken machte er sein Beiboot los... auf diesem Bootchen hatten Fritz und Schwester Inge segeln gelernt.“

Es wird nicht die einzige im Chaos der letzten, brisantem Kriegsstunden absurd bis bizarr wirkende Flucht in die Erinnerung bleiben: In Klaußners Roman – der Autor selbst ist leidenschaftlicher Segler – bauen diese Exkurse eine schöne, unbelastete Gegenwelt zur kriegerischen Gegenwart in Berlin auf. Und sie werden immer interessanter und dichter, denn Klaußner erzählt hier in Etappen die Geschichte seiner Familie.

In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ sagte er unlängst, was am Anfang seines Schreibens stand: „Eine in dürren Sätzen erzählte Anekdote meines Vaters, der nie Soldat war, aber in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges gezogen wurde und in eine Situation geriet, in der man ihn erschießen wollte. Ich habe schon immer gedacht, dass man aus dieser Geschichte mal etwas machen müsste, wollte aber nicht biografisch vorgehen.“

So streut er also biografische Details in eine Geschichte, die atemlos durch die letzten Kriegsstunden hetzt. Fritz und Schultz werden getrennt, Fritz wird kurzerhand eingezogen, bewaffnet und zum Strandbad Wannsee beordert, wo sich eine Handvoll Soldaten in einer durch und durch und undurchsichtigen Situation den russischen Angreifern entgegenstellen soll. Fritz hat auch ganz eigene Pläne: Am Wannsee liegt sein Boot „Traute“ mit einer üppigen Überlebensration an Bord. Von diesem Ziel träumt er, hier könnte er diese Chaostage überstehen.

Burghart Klaußner: „Vor dem Anfang“, Kiepenheuer & Witsch, 176 S., 18 Euro. Lesung: Klaußner liest am Sonntag, 4. November, 18 Uhr auf Einladung des Literaturhauses Bonn im Bonner Schauspielhaus. Karten gibt es bei Bonnticket.

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