Mit Kinderaugen durch Bonn Jonah findet den Hofgarten eher uninteressant, interessiert sich aber für Fahrräder

BONN · Brunnen sind langweilig und Spielplätze für Babys. Was die Stadt zu ihrer Verschönerung und als Freizeitvergnügen für den Nachwuchs installierte, ringt einem Dreikäsehoch nur ein müdes Lächeln ab. Es sind ganz andere Dinge, die die Augen des Jungen zum Leuchten bringen. Gestatten: Jonah, sechs Jahre alt, Kindergartenkind.

 Jonah hat ein Fahrrad entdeckt auf dem ein weißer Zettel klebt. Damit fordert die Stadt den Eigentümer auf, sein Gefährt bis zu einem festgelegten Datum abzuholen.

Jonah hat ein Fahrrad entdeckt auf dem ein weißer Zettel klebt. Damit fordert die Stadt den Eigentümer auf, sein Gefährt bis zu einem festgelegten Datum abzuholen.

Foto: Ariane Fries

Interessanter als Brunnen und Spielplatz sind die abgestellten Zweiräder am Alten Rathaus. "Hundert Fahrräder stehen hier. Vielleicht auch mehr", ist sich der Steppke sicher. Auf einigen klebt ein weißer Zettel mit Stadtlogo und Datum. "Was heißt das?", fragt er. Was der Junge da entdeckte, ist eine Art Verwarnung an den Besitzer des jeweiligen Rades. Mit dem Vermerk wird der Eigentümer aufgefordert, das Fahrrad bis Mittwoch abzuholen. "Und wenn das nicht passiert?"

So genau weiß ich, die erwachsene Begleitperson, das nicht und rate: "Dann holen Mitarbeiter der Stadt die Fahrräder ab, bewahren sie noch ein Weilchen auf, und wenn sich dann keiner meldet, werden die Räder versteigert."

Mit dieser Antwort ist Jonah zufrieden. Er flitzt los, um noch mehr Stahlrösser akribisch nach dem Zettel abzusuchen. Manche sind schon ziemlich verrostet, andere sehen gar nicht so aus, als ob sie der Eigentümer vergessen habe, stellt er fest. Insgesamt vier Räder findet Jonah, die das Emblem tragen. Nebenan haben die abgestellten Motorräder und Roller seine Aufmerksamkeit gewonnen. "Ist das ein Rennmotorrad?", fragt er, während er eine grüngoldene Maschine begutachtet.

Touché, keine fünf Fragen sind gestellt worden und schon fällt die Antwort schwer. "Puh, ja könnte sein", lautet meine nichtssagende Lösung. Als Motorsportlaie hätte ich in einem TV-Quiz womöglich sämtliche Joker verwendet.

Aus dem Augenwinkel mustert Jonah nun seine Begleitung. Sein Gesicht spricht Bände. Bevor er erneut eine Frage stellen kann, entdeckt der Sechsjährige einen Roller. In seinen Augen wird aus der blauen 50er ein Rennmotorrad. Die Indizien sind eindeutig: Auf der Front klebt ein Aufkleber, der an eine Zielfahne erinnert.

Eine Diskussion an dieser Stelle wäre wohl wenig zielführend. Jonahs durchdringender Blick überzeugt. Bloß nicht noch mal so eine Schlappe einstecken, wie vorhin bei dem großen Motorrad.

Weiter geht es entlang der Stockenstraße und dem Hofgarten. Die riesige Wiese nutzen viele Bonner zum Lesen, Sonnen und Quatschen. Auf die Frage, wer das ist, fällt der Begleitung noch eine vermeintlich passende Antwort ein: "Studenten!" "Was sind Studenten?"

Mist, alles, was jetzt gesagt werden könnte, könnte gegen den Urheber, also mich, verwendet werden. Spätestens seit dem eigenen Studium in Bonn gehört das Grün zum liebsten Sommer-Lümmel-Platz.

Zum Glück möchte Jonah jetzt lieber Eis essen, als eine Antwort hören. Auf dem Weg zur Eisdiele kommt er an einer blauen, augenscheinlich verlassenen Holzbude vorbei. Jonah hat seine ganz eigene Theorie, wie das Vehikel dahin gekommen und warum es so verwahrlost ist. "Der Fahrer hatte hier bestimmt einen Unfall und den Wagen dann einfach abgestellt. Jetzt kümmert sich niemand darum", brabbelt er drauflos. An seinem breiten Grinsen ist abzulesen, wie sich vor seinem inneren Auge das Szenario abspielt. An der Eisdielen-Vitrine sucht sich Jonah schließlich Erdbeer und Mango aus. Auf einer Parkbank im Schatten wird der Becher verputzt.

Der richtige Zeitpunkt, um mal selbst der Fragensteller zu sein: "Jonah, gibt es etwas, was du gar nicht magst an Bonn?"

"Den Müll", antwortet er knapp mit dem Plastiklöffel zwischen den Zähnen. Und erst in dem Moment fällt seiner Begleitung auf, dass Jonah tatsächlich gewissenhaft vor jedem Nase putzen zuerst einen Mülleimer suchte, um davor die Taschentücher rauszukramen und anschließend die benutzten Tücher entsorgte.

Chapeau, denke ich mir. Jonah zeigt mal eben nebenbei, dass Umweltbewusstsein kinderleicht ist.

Kaum ist das Eis gegessen, will Jonah ins Tierfachgeschäft. Wegen seiner Aquarien gehört der Handel zu den Hauptattraktionen bei einem Bonn-Besuch. "Hier sind gar keine Fische", stellt er enttäuscht fest. Missmut macht sich breit, also schnell raus aus dem Laden. Das Schaufenster nebenan tröstet über die Enttäuschung hinweg. Kapitänsmützen mit Totenköpfen haben es dem Sechsjährigen angetan. "Wie heißt das Geschäft?", fragt er knapp. Die Antwort murmelt er mehrfach vor sich hin. Um kurz darauf zu erklären: "So kann ich mir das am besten merken." Er scheint feste Haben-Wollen-Absichten zu hegen.

Wieder stehe ich vor einer unlösbar anmutenden Frage: "Wie erkläre ich das bloß seinen Eltern?"

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