Ereignisse von 1914 bis 1918 Sammelband über den Ersten Weltkrieg in Bonn

Bonn · Ein Sammelband fasst die Ereignisse in Bonn in der Zeit von 1914 bis 1918 zusammen und bringt auch weniger bekannte Tatsachen ans Licht. So versorgte etwa der Konvoi einiger Bonner mit ihren Autos die Front mit Zigaretten und Verpflegung.

Wozu braucht es noch Endzeitszenarien, wenn doch schon die Realität in Düsternis versinkt? In Bonn reichen vor einhundert Jahren ein Paar Monate, um die Stimmung einer fröhlichen Universitäts- und Residenzstadt in das zu verwandeln, was ein fünfhundert Seiten starkes Buch im Untertitel auf einen Begriff zusammenrafft: Heimatfront. Der Erste Weltkrieg tobte nicht nur durch französische und flandrische Schützengräben, sondern fegte auch durch Hörsäle, Betriebe und Familien einer beschaulichen Kleinstadt wie Bonn. Nicht ganz so blutig, aber ebenso gründlich. Bemerkenswerte einhundert Jahre hat es gebraucht, bis ein Sammelband eine umfassende Gesamtdarstellung der Ereignisse in Bonn von 1914 bis 1918 zusammenträgt. Geschlossen haben diese Lücke jetzt die Bonner Historiker Norbert Schloßmacher und Dominik Geppert.

Ein großer Teil des archivierten Materials überdauerte

Wer instinktiv eine Chronik erwartet, könnte enttäuscht werden. Denn die insgesamt 17 Autoren nähern sich dem Stoff nahezu ausnahmslos in strukturgeschichtlicher Weise. Das allerdings taugt nicht als Grund, das tiefblaue Gesamtgefüge mutlos beiseitezulegen. Vielmehr ziehen die Beiträge – und der großzügige Bildanteil – den Leser intensiver ins Thema, als man es sich bei den Schilderungen aus den Kriegsbriefen Gefallener oder der Situation in den Bonner Lazaretten mitunter wünschen mag. Ausführlich wie lebendig schildert etwa Schloßmacher das Bonner Leben am Vorabend der „Jahrhundertkatastrophe“, um nur eine der vielen Metaphern für den Ersten Weltkrieg zu bemühen.

Thematische Kontrapunkte setzt Helmut Vogt mit seinem Beitrag zur Bonner Wirtschaft während des Krieges. Einen Blick in die Tiefen des Magazins des Stadtarchivs eröffnet der Aufsatz von Yvonne Leiverkus über die Bonner Kriegssammlung. Die war mit dem langfristigen Ziel eines Kriegsmuseums in Bonn seit 1914 gezielt aufgebaut worden. Zwar nahm man von diesem Projekt angesichts der Niederlage 1918 Abstand – in Bonn überdauerte ein großer Teil des seinerzeit archivierten Materials und konnte somit im Gedenkjahr mit berechtigtem Staunen gehoben werden.

Überraschendes beförderten auch Sabine Harling und Erhard Stang zutage: Sie schildern, wie sich im September 1914 eine Gruppe furchtloser Bonner Bürger mit einem Konvoi aus neun Privatautos vom Münsterplatz aus in Richtung Front in Bewegung setzt – die Rückbänke randvoll beladen mit allem, was einem Frontsoldaten Freude bereitet: von warmer Unterwäsche und Socken bis hin zu Dauerwurst, Konserven, Schokolade und Rauchwaren. So finden bei der ungewöhnlichen Lieferfahrt unter anderem 10 000 Zigarren, 1900 Zigaretten und 250 Pakete Tabak den Weg nach Frankreich. Kurz zuvor hatten Bonner Angehörige einer Reserveeinheit einen eindeutigen wie holprigen Hilferuf nach Hause gesandt: „Hart an der Grenze liegen wir / es fehlt uns vieles. Vor allem das Bier / ist uns ausgegangen schon lange Zeit / Und Bonn und Beuel ist allzu weit...“

Doch Hilfe naht: Pannenbedingt um drei Fahrzeuge dezimiert, erreicht die unverdrossene Truppe nach zwei Tagen ihr Ziel. An den Lenkrädern der provisorischen Lieferwagen lösen sich bekannte Bonner wie der Autohändler Jacob Bachem, der Drogist Carl Lauffs und die Stadtverordneten Bäckermeister Peter Chrysant und Bankdirektor Karl Weber ab. Tatsächlich erreichen sie das in der Ermekeilkaserne stationierte 160. Infanterieregiment. Allerdings sind die Soldaten beschäftigt: „Das Regiment selbst lag gerade in den Schützengräben im heftigen Kampfe. Durch die Luft sausten die Schrapnells, Kanonendonner hörte man andauernd“, heißt es im Bericht der „Bonner Zeitung“. Und weiter: „Kaum konnten sich unsere Wagen durchdrängen, so umlagert waren sie überall. Jeder wollte etwas von Bonn hören, von seinen Angehörigen...“. Als tragische Laune des Zufalls erscheint es da, dass bei den Kämpfen just an diesem Tag und gerade einen Kilometer entfernt der Bonner Maler August Macke den Tod findet. Wie nah die Kämpfe selbst noch an die Heimatstadt heranrücken sollten, legt Richard Hedrich-Winter dar mit der Schilderung eines schweren Luftangriffs, der Bonn am 31. Oktober traf und bei dem mindestens 30 Menschen starben – elf Tage vor Ende der Kampfhandlungen.

In der Beethovenhalle fand er sich in einem Lazarett wieder

Einer, der die gespenstische Verwandlung Bonns von der Residenzstadt zur Heimatfront durchs Objektiv seiner Kamera beobachten musste, war der Fotograf Adolf Plesser. 1913 hielt er herrschaftliche Fassaden von Universität und Kronprinzenpalais auf Zelluloid fest. Als Plesser im Dezember 1915 die Beethovenhalle betrat, kurz zuvor noch Schauplatz rauschender Feste und Bälle, denen Mitglieder der kaiserlichen Familie Glamour verliehen, fand er sich in einem Lazarett wieder. Womöglich ist Plesser von jenem Anblick gefangen worden. Mehrfach fotografiert er in der Folge Bonner Kriegsversehrte und schafft eine bizarre Serie arm- oder beinamputierter, blinder oder einfach apathisch dreinblickender junger Bonner – beim Croquetspiel, bei der Salaternte, bei Gehversuchen mit der Prothese oder, nicht weniger bedrückend, beim Flechten von Weidenkörben.

Der Erste Weltkrieg in Bonn. Die Heimatfront 1914-1918. Herausgegeben von Dominik Geppert und Norbert Schloßmacher. Bonn 2017. 504 Seiten, 25 Euro.

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