Konflikt Ukraine mit Guerillakrieg konfrontiert

DONEZK · Erneut haben Separatisten in der Ostukraine OSZE-Beobachter in ihre Gewalt gebracht. Unterdessen sterben zahlreiche Kämpfer bei schweren Gefechten mit dem Militär. Unser GA-Korrespondent berichtet über die aktuelle Lage aus der Ukraine.

Die Windschutzscheibe des Kamas-Militärlasters ist durchsiebt mit MG-Einschüssen, unter dem Fahrersitz klebt eine eingetrocknete Blutlache, auch die Ladefläche und der Straßenasphalt sind rot, zwischen kaputten Sportschuhen, Glasscherben, Mützen und ein paar leer geschossenen Patronen liegt eine vom Blut gebräunte Hand mit sehr weißen Fingernägeln. "Faschisten, die Ukrainer sind wahre Faschisten geworden", ein Fahrradfahrer mit Sonnenbrille untersucht eine durchlöcherte Stoffmaske nach Blutspuren, dann ruft er zornig: "Da habt ihr eure Europa-Integration!"

Hinter der Putilow-Brücke auf der Straße zum Donezker Flughafen hat der Krieg seine schreckliche Fratze entblößt. Hier lauerten gestern Nacht ukrainische Soldaten einem mit prorussischen Kämpfern vollgepackten Lastwagen auf und metzelten sie mit automatischen Feuerwaffen nieder. Nach Angaben ukrainischer Medien starben Elitekämpfer des tschetschenischen "Bataillons Ost", das Russland geschickt haben soll. Deren "Volksgouverneur" behauptet, die Ukrainer hätten einen Verletztentransport unter Rot-Kreuz-Flagge niedergemetzelt.

Bei dem Überfall kamen nach verschiedenen Angaben zwischen 28 und 35 Rebellen um, außerdem erschossen Unbekannte auf dem Donezker Bahnhof eine Frau. Die Kämpfe waren am Montagmittag ausgebrochen, als Rebellen den Flughafen gestürmt hatten. Ukrainer konterten mit Unterstützung durch zwei Kampfhubschrauber und einen MiG-Düsenjäger und drängten die Angreifer zurück. Gleichzeitig griffen Regierungstruppen Straßensperren vor der Separatistenhochburg Slawjansk an und attackierten das Hauptquartier der Rebellen in der Hafenstadt Mariupol. Viele Beobachter glaubten an eine Großoffensive der ukrainischen Truppen. Und es gingen Gerüchte, Denis Pischulin, der Regierungschef der separatistischen "Donezker Volksrepublik", habe das besetzte Gebäude des Gebietsparlaments nachts fluchtartig verlassen - mit einer großen Tasche und mehreren Leibwächtern.

Im Morgengrauen aber setzten Bewaffnete die Donezker "Druschba"-Eisarena des Hockeyklubs "Donbass" in Brand. Mutmaßlich Rebellen, die sich am Klubbesitzer Boris Kolesnikow rächen wollten. Der Multimillionär hatte den Aufständischen vorgeworfen, sie verwandelten die Region mit ihrem Terror in ein "zweites Somalia".

Nach Angaben ukrainischer Grenztruppen drangen gestern wieder mehrere Lastwagen mit schwer bewaffneten Kämpfern aus Russland in die Ostukraine ein. Aber Moskau schreckt weiter vor einem offenen Einmarsch zurück. So wie die ukrainische Armee auch gestern darauf verzichtete, ins Stadtzentrum von Donezk vorzurücken. "Beide Seiten wollen den Gegner offenbar durch Partisanentaktik zermürben", sagt der russische Militärexperte Jegor Alexandrow. In der vergangenen Woche waren in der Region Donezk ukrainische Freiwillige in einen Hinterhalt geraten und verloren vier Mann, bei einem nächtlichen Überfall auf eine andere ukrainische Einheit waren 15 Soldaten umgekommen. Das Blutbad an der Putilow-Brücke war offenbar die Antwort.

Jetzt liegt die Brücke im Niemandsland, wenige Hundert Meter jenseits des zerschossenen Lastwagens sollen die ersten ukrainischen Scharfschützen sitzen. Auf dem Rückweg zur vordersten Straßensperre der Rebellen taucht ein anderer Fahrradfahrer auf: "Sie sind Journalist? Ausländer? Gott sein Dank! Schreiben sie, dass das russische Fernsehen lügt. Den Krieg haben die Invasoren aus Russland angefangen, sie haben hier unsere Kriminellen mobilisiert. Das Volk unterstützt sie nicht, das Volk will Frieden." Der tollkühne Radfahrer saust weiter.

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