Merkel in Heidenau "Wir sind das Pack!"

Heidenau · Bundeskanzlerin Angela Merkel schlägt bei ihrem Besuch in Heidenau blanke Wut entgegen.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt bei ihrem Besuch in Heidenau einen Asylsuchenden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt bei ihrem Besuch in Heidenau einen Asylsuchenden.

Foto: AFP

Joachim Gauck betritt das "helle Deutschland" um 9.49 Uhr. Er wird 42 Minuten jene Seite des Landes inspizieren, die er "leuchtend" nennt, weil sich dort Ehrenamtliche und ein Netzwerk sozialer Verbände, Ärzte und Krankenschwestern, die eigens ihren Urlaub geopfert haben, um Flüchtlinge kümmern. Das "helle Deutschland" ist in diesem Fall das ehemalige Rathaus in Berlin-Wilmersdorf, das seit geraumer Zeit leer steht. Doch seit zwei Wochen hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales das ausrangierte Rathaus "beschlagnahmt", wie Philipp Bertram von der Initiative "Wilmersdorf hilft" erzählt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird einige Stunden später einen Teil der Republik besuchen, den der Bundespräsident an diesem Vormittag "Dunkeldeutschland" nennt, weil dort, im sächsischen Heidenau, Rechtsextremisten und Rassisten vor wenigen Tagen Flüchtlinge bedroht und Polizisten angegriffen haben. Die Bundeskanzlerin hat lange geschwiegen zu den Aufmärschen und Brandstiftungen vor und auf Flüchtlingsunterkünfte in vielen Teilen der Republik. Aber nun, zwei Tage nach der Visite von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) in Heidenau, hat sich auch Merkel noch auf den Weg in die Kleinstadt an der Elbe gemacht.

Ihr Parteifreund und Oberbürgermeister Jürgen Opitz kann dort jede Hilfe gebrauchen. Merkel wird mit "Buh"-Rufen empfangen. Die Bundeskanzlerin hört, wenn sie es denn hört, Rufe wie: "Volksverräter, Volksverräter" und "Wir sind das Pack!" Damit versucht eine Gruppe von Zuschauern, ihrem Ärger über eine Äußerung von SPD-Chef Gabriel Luft zu machen, der Randalierer vor der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau als "Pack" bezeichnet hatte. Kein leichter Weg für Merkel, die vom sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) begleitet wird. Tillich hatte kurz nach der Krawallnacht in Heidenau den rechten Aufmarsch wie auch die Gewalt gegen Polizisten verurteilt. Jetzt nickt er zustimmend, als einer der Zuschauer laut für die Flüchtlinge Partei ergreift, die mitunter besser arbeiten könnten "als manche von uns". Wenigstens so viel Courage darf sein in Heidenau - freut sich Tillich ("Na also..!).

Merkel dankt Bürgermeister Opitz, den Mitarbeitern des Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerkes wie auch vielen ehrenamtlichen Helfern für deren schnelle Hilfe und auch "denen, die auch vor Ort Hass zu ertragen haben, dass sie das ertragen und dass Sie, Herr Opitz, so deutliche Worte finden. Das ist nicht einfach." Merkel wird noch deutlicher. Null Toleranz heißt null Toleranz. "Wir müssen alle unsere Kraftanstrengung darauf lenken, deutlich zu machen: Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen. Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die nicht bereit sind, zu helfen, wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist."

Sie ruft die Bürger gerade in Heidenau, wo sich Familien mit Kindern dem rechten Aufmarsch angeschlossen hatten, dazu auf, ihre Ablehnung fremdenfeindlicher Parolen deutlich zu machen. Je mehr Menschen, auch in Gebeten, dabei mitmachten, "umso stärker werden wir sein, und umso besser werden wir diese Aufgabe auch bewältigen können".

Bundespräsident Gauck setzt gleichfalls sein Zeichen gegen Fremdenhass und wirbt um Verständnis für womöglich überforderte Behörden in Folge des Massenansturms von Flüchtlingen in Deutschland. "Jetzt gibt es so etwas wie einen Notstand, der aber noch nicht Notstand genannt wird. Viele Flüchtlinge, Asylbewerber empfinden es aber so." Der Notstand kann im ehemaligen Rathaus von Wilmersdorf gut besichtigt werden. Es fehlt an vielem, was Menschen in Not brauchen, vor allem aber fehlt es an schneller Hilfe der Behörden.

Dafür hat das Land Berlin nach Darstellung ehrenamtlicher Helfer mit atemberaubender Geschwindigkeit das frühere Amtsgebäude zur Flüchtlingsunterkunft erklärt, ohne es dafür zu rüsten. 570 Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan teilen sich hier nun Schlafräume, Küche, Toiletten. Vor Raum 96 im Erdgeschoss ist handschriftlich eine Mängelliste ausgehängt: Decken, Gebetsteppiche, Rollkoffer, Waschlappen, Bettlaken, Handy mit Ladekabel, Männerkleidung ("kleine Größen !!"), Fahrrad-Luftpumpen, BVG-Tickets.

Gauck schüttelt viele Hände. Der syrische Künstler Issam Hamdi ist einer der Ersten, der Gauck begrüßt. "Danke, Deutschland. Wir sind frei!", ist Hamdis Botschaft. Abdul Oda (28) schafft es sogar zu einem Handy-"Selfie" mit dem Bundespräsidenten. Gauck kommt nach seinem Rundgang durch das Gebäude wieder in den Innenhof. Der Bundespräsident freut sich über die Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Bund, Länder und Gemeinden würden den Massenansturm "nicht in idealer Weise lösen können", aber das Land zeige schon, "dass wir dennoch handlungsfähig sind". Gauck nennt es "die überdeutliche Antwort auf die Hetzer und Brandstifter" - in "Dunkeldeutschland".

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