Maßnahmen gegen Betrug Hat der Fiskus zu viel Geld?

BERLIN · Im Januar entschied das Finanzgericht Rheinland-Pfalz, dass der Geschäftsführer einer Firma, die Registrierkassen herstellt und verkauft, 1,9 Millionen Euro an den Fiskus zahlen muss. Der Unternehmer hatte einem Eiscafé ein modernes Kassensystem verkauft und als Zubehör gleich Software zur Manipulation der Umsätze mitgeliefert.

Sie war auf einem USB-Stick gespeichert. Der Verkäufer der Kasse hat den Inhaber des Eiscafés auch noch eingewiesen, wie die Software einzusetzen ist. Die Manipulation an der Kasse flog auf: Von 2003 bis 2010 wurden allein in diesem Eiscafé 1,9 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Da der Eiscafé-Inhaber seine Steuerschuld nicht begleichen konnte, wurde der Kassenhersteller zur Rechenschaft gezogen.

Das Problem ist seit langem bekannt: Moderne, computergestützte Kassensysteme sind anfällig für Betrug. In einigen Branchen mit hohem Bargeldaufkommen tummeln sich schwarze Schafe, die systematisch Umsätze unterschlagen. Steuerhinterziehung gehört für einige Unternehmer zum Geschäftsmodell. Die technischen Möglichkeiten dazu werden immer ausgefeilter: Da wird zum Beispiel eine "Phantomware" auf die Kasse geladen. Das Programm ist versteckt, kann an der Kasse durch einen Click auf dem Bildschirm oder eine Tastenkombination aktiviert werden. Umsätze können so gelöscht werden. Damit es bei einer Betriebsprüfung nicht auffällt, werden gleich auch die Lagerdaten entsprechend angepasst.

Es ist keineswegs so, dass die Behörden untätig zugucken würden. Im Gegenteil: Der Bundesrechnungshof, die Finanzminister der Länder, Beamte der Steuerverwaltung dringen seit mittlerweile 15 Jahren darauf, dass sich der Staat wehrt. Mit Steuerzahlergeld hat eine Bundesbehörde ein Verfahren entwickelt, das Manipulationen aufdeckt.Es spricht viel für dieses Verfahren, das mit einer "Smartcard", einem handelsüblichen Lesegerät und digitalen Signaturen arbeitet: Insika (Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensystem) ist sicher, kostengünstig, praxiserprobt. Hamburger Taxen rechnen seit Anfang vergangenen Jahres mit Insika-Unterstützung ab. Es spricht nichts dagegen, Insika in Gastronomie und Handel zur Pflicht zu machen.

Nur: Irgendeiner steht auf der Bremse. Es hakt. Man bekommt den Eindruck, dass Insika von höherer Stelle verhindert werden soll. Unserer Zeitung liegen Dokumente vor, die belegen, dass der wirksame Schutz vor Manipulation von Kassensystemen, Steuerhinterziehung und Umsatzverkürzung vom Bundesfinanzministerium hintertrieben wird. Ausgerechnet vom Bundesfinanzministerium, das doch eigentlich dafür sorgen müsste, dass fällige Steuern auch konsequent eingetrieben werden.

Es fängt schon damit an, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) das Problem kleinredet. "Eine Schätzung des jährlichen Steuerausfalls durch Betrug mit manipulierten Registrierkassen ist nicht möglich", so das Ministerium in einer Stellungnahme für unsere Zeitung. Und weiter: "Die immer wieder ins Feld geführten zehn Milliarden Euro Steuerausfall sind nicht seriös." Dies ist im Übrigen ein Affront gegen die Experten vom Bundesrechnungshof und gegen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Das BMF schreibt nämlich weiter: Die Zahl zehn Milliarden beruhe "auf Berechnungen des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen, die vom Bundesrechnungshof unkritisch übernommen wurden."

So, so, das Bundesfinanzministerium erklärt, die Umsatzverkürzung in Branchen mit hohem Bargeldaufkommen sei gar nicht so schlimm. Der Bundesrechnungshof dagegen schreibt per Mitteilung ans Schäuble-Ministerium vom 19. Mai, dass das Problem nicht nur in der Gastronomie groß sei: Betriebs- und Steuerfahnder hätten "umfangreiche Manipulationen" bei Apotheken entdeckt. In einem Fall hatte ein Apotheker "das Kassenwarenwirtschaftssystem einer Apotheke manipuliert" und von 2003 bis 2008 370 000 Euro aus der Kasse entnommen. Der Bundesrechnungshof wird recht deutlich, ermahnt geradezu das BMF, endlich tätig zu werden: Es sei "inzwischen ein strukturelles Vollzugsdefizit entstanden". Insika sei "eine geeignete Maßnahme, das Vollzugsdefizit zu beseitigen". Das Bundesfinanzministerium sieht es ganz anders , es sät systematisch Zweifel an der Schutz-Technologie "Insika". Die Smartcard entspreche "derzeit nicht den europäischen Sicherheitsanforderungen", so das BMF.

Tatsache ist, dass Insika im Taxigewerbe in Hamburg bestens funktioniert. Ein Experte, der die Zweifel des Ministeriums untersucht hat, kommt in seiner Bewertung für das NRW-Finanzministerium zum Schluss: "Das Zusammenspiel" von zwei Algorhytmen bei Insika "bietet eine von anderen Systemen bisher nicht erreichbare Sicherheit gegen Manipulation an Kassenumsätzen." Und weiter: "Insika ist sicher."

Das Haus Schäuble moniert sodann zu hohe Bürokratiekosten. Wirtschafts- und Finanzministerium seien sich einig, dass das Aufrüsten von 1,4 Millionen Unternehmen mit dem Verfahren 1,6 Milliarden Euro einmalig in der Anschaffung koste und dann jedes Jahr 250 Millionen im Unterhalt. Ein Experte, der für das NRW-Finanzministerium arbeitet, sagt dazu: "Die Schätzungen des BMF basieren auf unreflektiert übernommenen Zahlen der Verbände." Das Bundesfinanzministerium habe sich von Lobbyisten Horrorszenarien einflüstern lassen. NRW hat Daten vom Statistischen Bundesamt für eine eigene Schätzung der Bürokratiekosten herangezogen und kommt auf "ein Investitionsvolumen von 850 Millionen Euro." Wenn das stimmt, wäre alles also nur halb so teuer. Man muss die Kosten auch ins Verhältnis setzen zu den Steuerausfällen: Bei einem Steuerausfall von mehreren Milliarden Euro im Jahr, hätte sich Insika schnell amortisiert. Alle 16 Finanzminister der Länder haben den obersten Kassenwart der Nation aufgefordert, tätig zu werden.

Offensichtlich gab es in der Sache einen Schulterschluss zwischen den beiden zuständigen Bundesministern, Sigmar Gabriel (Wirtschaft) und Wolfgang Schäuble (Finanzen). Sie haben sich abgesprochen, Insika auszubremsen. Dies muss im Vorfeld der Länderfinanzministerkonferenz gewesen sein, die am 25. Juni tagte, und geschah auf höchster politischer Ebene. Unserer Zeitung liegt ein Brief an Gabriel vor, handschriftlich unterzeichnet mit "Ihr Schäuble", in dem er sich "für die gute Zusammenarbeit unserer Häuser in dieser Angelegenheit" bedankt. Gabriel hatte zuvor in einem Brief an Schäuble Bedenken in der Sache vorgetragen. So hatte er gefordert, "dass alternative Systeme zugelassen werden müssen."

Die letzte Forderung ist eine Absage an Insika. Diese Worte müssen die Mitarbeiter in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), eine nachgeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums, und die Steuerzahler als Ohrfeige empfinden. Die PTB hatte Insika entwickelt und dafür 225 000 Euro Förderung aus dem Etat des Wirtschaftsministeriums bekommen.

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