Musikschule in Sankt Augustin Zwei Augustiner machen dirigentenloses Spiel zum Prinzip

SANKT AUGUSTIN · Nanu, da fehlt doch was. Der wichtigste Mann im Orchester (oder die wichtigste Frau) trägt normalerweise einen Taktstock in den Händen und hält die Gruppe zusammen. Ein Dirigent bündelt den Klang, hält das Metrum im Zaum und kann im besten Falle noch während des Auftritts seines Orchesters korrigierend eingreifen.

 Das Jugend-Sinfonieorchester begeistert die Zuhörer im Sankt Augustiner Ratssaal.

Das Jugend-Sinfonieorchester begeistert die Zuhörer im Sankt Augustiner Ratssaal.

Foto: Ingo Eisner

Das alles fiel nun flach. Das Konzert des Kammerorchesters und des Jugend-Sinfonieorchesters der Musikschule der Stadt Sankt Augustin im Ratssaal belehrte die Zuhörer eines besseren.

Christiane Kraus leitet das Jugend-Sinfonieorchester der Musikschule seit gut 15 Jahren. Und auch das anspruchsvolle Kammerorchester Stringendo, das sich aus herausragenden Nachwuchsmusikern der Musikschule zusammensetzt, steht unter ihrer Leitung. "Anfangs habe ich gesagt, ich werde nie einen Dirigierstab in die Hand nehmen", sagt die Violinistin, die ihre Schüler zu größtmöglicher Selbstständigkeit erziehen wollte. Wenn es die Situation verlangt, steht Kraus natürlich vor dem Orchester. Aber grundsätzlich ist ihre Arbeit getan, wenn der Auftritt beginnt.

Die wochenlangen Probenphasen davor sind allerdings so intensiv und effektiv, dass die Orchester ihre Aufgaben am Ende selbst meistern. "Man kann den Schülern vieles zutrauen", erklärt Kraus. Als Konzertmeisterin des Kammerorchesters leitet Soraya Ali (17) dann vom Violinenpult aus ihre Mitstreiter. Ein nachdrücklicher Blick genügt, und die Schüler-Gruppe folgt ihr.

Wie gut das funktioniert, zeigte der Auftritt mit Henry Purcells Spielmusik zu "Ein Sommernachtstraum" und dem "Concerto grosso" Nr.11 (RV 565) von Antonio Vivaldi. Hier standen dem Orchesterapparat zudem die jungen Violinistinnen Chiara Krisam (14), Anna Giering (17) und Cellist Sebastian Fasolack (16) als Solisten zur Seite. "Wir haben festgestellt, dass die Schüler diesen Anspruch erstaunlich gut meistern", sagt Kraus und fügt hinzu, "wenn man sie lässt".

Georg Bours teilt diese Meinung mit seiner Kollegin Kraus und hat den packenden Gestaltungswillen seiner Eleven im Jugend-Sinfonieorchester unter Konzertmeister Marius Müller-Fischer (13) ebenfalls schätzen gelernt. Im ersten Schulhalbjahr hat Bours die Leitung des Orchesters erstmals an der Stelle von Kraus übernommen. Auch in den Bläsergruppen hat es einen Wechsel gegeben. Klemens Salz und Sabine Volk tauschen halbjährig ihren Platz am Pult, während Andreas Wahl für das Einstudieren des Schlagwerks verantwortlich zeichnet.

Eine Kooperation mit dem Rhein-Sieg-Gymnasium (RSG) macht den Wechsel der begleitenden Lehrer neuerdings möglich. Ein eigenes Orchester konnte das RSG nicht mehr halten. Ein trauriger Tribut an die von neun auf acht Jahre verkürzte Gymnasial-Schulzeit. "Seit G8 haben die Kinder keine Zeit mehr, in verschiedenen Orchestern zu spielen", sagt Bours. "Mit der Musikschul-Kooperation, die die Orchesterarbeit als AG anrechnet, haben wir einen notwendigen Ansatz gemacht, die Begleiterscheinungen von G8 handelbar zu machen", erklärt der Pädagoge am RSG.

An Musizier- und Vortragsfreude seiner Schüler mangelt es dazu nicht. Ob das die emotionale "Träne" von Modest Mussorgsky als Streicher-Kleinod (ebenfalls ohne Dirigent), oder der sinnenfreudige "Sommernachtstraum" von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit dem berühmten Hochzeitsmarsch (mit Dirigent Bours) war - die Schüler zeigten großen Gestaltungssinn. Gefördert wird das Spielverständnis bereits in den Einsteigergruppen: Das Streicher-Aufbau-Orchester von Christiane Kraus mit Pianistin Leonie Abrodat und auch die Bläserkids von Sabine Volk gestalteten den musikalischen Konzertauftakt mit Einblicken in ihre klangvolle Musikschularbeit.

Insgesamt waren es gut 90 Schülerinnen und Schüler der Augustiner Musikschule, die sich am Sonntagnachmittag im Ratssaal der Stadt Sankt Augustin ein Stelldichein gaben.

Info: Wer das Kammerorchester in Kürze auch oder noch einmal erleben möchte, kann dies am 13. Juli ab 18 Uhr tun. Dann wird der Klangkörper erneut im Ratssaal zu hören sein bei einem Konzert mit einem befreundeten israelischen Chor aus der Partnerstadt Mewasseret Zion und zwei Rockbands.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort